Kurt Kempe

* 1932  †︎ 2023

  • Und es war jetzt so. Wir mussten da in Vidobl neun Monate praktisch Zwangsarbeiten machen müssen. Und im Februar war es recht kalt, da mussten wir eintreten einmal früh vor den neuen Besitzer da, den Tschechen, ich weiß nicht aus welchen Grund, angeblich hat da einer etwas gestohlen. Unsere Anzüge, die wir gehabt haben – ich habe zum Beispiel einen Militärfräckl gehabt und eine Militärhose und Holzschuhe und in den Holzschuhen war ein Loch. Und es hat jetzt geschneit und genässt und wir sind die drei Stunden draußen im Hof gestanden. Und da habe ich mir eine Fußzehe erfroren und meine Nase auch. Aber das ist nur das kleinere Übel.

  • Denn wenn sie heute in Postelberg bei den Kasernen vorbeigehen, die existieren nicht mehr, die hat man voriges Jahr oder vor zwei Jahren abgerissen, weil es noch das letzte Schandfleck war, wo die Deutschen gekommen sind und haben fotografiert. Wo das Panzergraben war, ist heute ein wunderbarer Park aufgelegt, dass nichts mehr daran erinnert, was mal dort war. Im postelberger Fasanengarten erinnert eigentlich so viel wie gar nichts mehr, wo das Barackenlager war. Da ist heute ein Sportplatz.

  • Ich war ja auch bei den Männern gestanden. Und wie aus unserem Haus der Sohn (von dem Nachbarn) vorbeigelaufen ist mit dem Gewehr und rotem Armbinden, der war dort bei so einem Verein, „Revolutionäre“, wie dich sich geschimpft haben, hat er mich genommen und hat mich zu den Kindern hingestellt. Und heute weiß ich, dass er mir dadurch das Leben gerettet hat. Weil ich wäre sonst auch bei den Männern gewesen. Und die Männer sind am 27. (Mai), am selben Abend noch, alle hingerichtet worden. Alle. Die ganze postelberger männliche Bevölkerung von dreizehn bis fünfundsechzig. Und die sind alle bei der tschechischen Schule. Da hat man einen großen Panzergraben ausgehoben, der war ungefähr 40 m lang, 5 m breit und 4 m tief. Und in diesen Graben sind in der ersten Nacht fünf hundert Leute erschossen worden. Das wussten wir aber zu der Zeit noch nicht.

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  • 1

    Weidenberg, Německo, 28.05.2019

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Ich bin heute einer der letzten Zeugen der Postelberger Massaker

Kurt Kempe am Treffen der postelberger Landsleute in Lichtenfels (ganz links), 1947
Kurt Kempe am Treffen der postelberger Landsleute in Lichtenfels (ganz links), 1947
zdroj: Pamětník

Kurt Kempe wurde am 5. August 1932 in Postelberg (tschechisch Postoloprty ) als Sohn des Schreiners Ernest und seiner Frau Emilie, geborene Neumann aus von Flöhau (Blšany), geboren. Im September 1938 wurde er in der tschechischen Schule eingeschult, doch einen Monat später kam die Besetzung des Sudetenlandes, Postelberg befand sich im Deutschen Reich und Kurt musste zusammen mit seinen tschechischen Klassenkameraden auf eine deutsche Schule wechseln. Kurt begann die Schrecken des Krieges erst im Herbst 1944 zu erkennen, als deutsche Flüchtlinge aus dem Osten durch die Stadt kamen, und insbesondere im April 1945, als Teilnehmer eines Todesmarsches aus einem Konzentrationslager „in der Nähe von Dresden“ die Nacht im Kühlhaus einer Postelberg -Brauerei verbrachten. Kurt sah die verelendeten Teilnehmer des Marsches mit eigenen Augen und erinnerte sich daran, wie sie vor Hunger am Gras gegessen hatten. In den letzten Kriegstagen wurde der dreizehnjährige Kurt zusammen mit anderen Jungen als Mitglied der HJ vom Volkssturm in eine improvisierte Zivilverteidigung eingezogen. Die Rote Armee traf am 9. Mai in Postelberg ein, zog sich jedoch am 15. Mai aus der Stadt zurück und machte Platz für eine aus Prag entsandte Militäreinheit (Kurt Kempe brachte sie mit der „Svoboda-Armee“ in Verbindung), die die Stadt mit Hilfe lokaler Revolutionsgarden die Stadt „von den Deutschen säubern sollte“. Bereits am Samstag, den 26. Mai 1945, waren deutsche Beamte, Nazis und andere im örtlichen Gerichtsgebäude konzentriert, und Kurt hörte in dieser Nacht Schüsse. Am Sonntag, den 27. Mai, musste sich die gesamte verbleibende deutsche Bevölkerung von Postelberg, einschließlich der Kempes, im Gebäude der örtlichen Kaserne versammeln. Sie mussten ihre Wertpapiere, Sparbücher und Schmuck abgeben. Die Postelberger Männer standen im hinteren Teil der Kaserne beiseite, Kurt zunächst unter ihnen, bis er vom Sohn einer befreundeten Familie Bernard bemerkt wurde. Die rote Armbinde (Emblem der Revolutionsgarden) verlieh ihm genug Autorität, um den ahnungslosen Kurt unter die Kinder zu bringen. Kurt weiß heute, dass er ihm damit das Leben gerettet hat. Während Frauen und Kinder nach Hause gehen durften, blieben Männer im Alter von 13 bis 65 Jahren in der Kaserne. Und Kurt hörte am nächsten Abend Schüsse. Am Tag nach dem Massaker wurde bekannt gegeben, dass die verbleibende deutsche Bevölkerung pro Person drei Kilo Gepäck packen musste, dann wurden sie in den Fasanengarten gebracht. Dort verbrachte Kurt ungefähr einen Monat. Zu diesem Zeitpunkt wurden Männer aus dem benachbarten Saaz nach Postelberg gebracht, die ebenfalls erschossen wurden. Nach vier oder fünf Wochen in der Postelberger wurden Kurt und eine Gruppe ungefähr gleichaltriger Jungen zur Feldarbeit in das nahe gelegene Widobl / Vidovle gebracht. Er erinnert sich, wie er als Strafe im Februar drei Stunden im Schnee stehen musste und Erfrierungen erlitt und wie er geschlagen wurde, als er versuchte, Kartoffeln zu stehlen. Nach neun Monaten Zwangsarbeit wurde Kurt im März 1946 in ein Sammellager in Saaz gebracht, von wo aus er nach einem Aufenthalt von ungefähr zwei Wochen in offenem Viehwaggon durch Eger nach Bayern transportiert wurde. Dort wurde er mit Hilfe des Roten Kreuzes von seinem Onkel gefunden, der später Kurts Mutter und Schwester ausfindig machte. 1950 kehrte auch sein Vater aus der sowjetischen Gefangenschaft zurück. Bereits zuvor, 1947, nahm Kurt an einem Treffen der Postelberger in Lichtenfels teil. Bei diesem Treffen hörte Kurt aus erster Hand die Zeugnisse der überlebenden Männer und erst dann verstand er das Ausmaß der Postelberger Katastrophe. Er würde heute nicht nach Postelberg zurückkehren wollen - er hat sich damit nicht abgefunden, dass sich die dortige Bevölkerung an die an den Deutschen begangenen Massaker so gut wie gar nicht erinnert.