„Genau, es waren cca hundert zwanzig Mann schon wieder drin. Wir haben hinten in der Orangerie, damals war es Gästehaus, heute ist es Orangerie, da waren Dreistockbetten von der Bundeswehr, und da waren die 130 Leute drin. Ich weiss noch, ich bin in den Raum reingegangen, und die haben uns ein Bett zugeteilt, ich hatte ganz oben, ich hatte eingeatmet und ich dachte ich ziehe an einer Zigarette, weil jeder geraucht hat. Und da hatte meine Mutter gesagt: ‚Das geht nicht, da kann sie nicht schlafen als Nichtraucherin.‘ Und es gab da noch ein Zimmer, wo Familien mit Kindern untergebracht waren. Das war auch noch frei. Da haben wir ein Bett zugewiesen gekriegt, da haben wir unsere Taschen hingestellt und dann war einer der nannte sich Bürgermeister, er war nach der grossen Welle als erster drin, er hat das ein bisschen organisiert. Mit dem Essen war es am Anfang chaotisch, die haben halt da Dosen hingestellt und er hat dann zu einem gesagt: ‚Du bist jetzt der Koch, du übernimmst das jetzt.‘ Dann kam an den Kühlschrank grosser Vorhängeschloss, wenn man etwas will, dann muss man ihm sagen, sonst wäre es sehr ungeordnet. Das hat gut funktioniert. Und am sonsten war alles da, man war auf dem Botschatfsgelände, der Garten sah natürlich noch verwüstet aus. Man musste seinen Tag ein bisschen strukturieren, aber mit dreizehn war es ja pures Abenteuer. Wir waren Gleichaltrige oder die, die vom Alter nahe waren, und mit den hat man sich unterhalten, Brettspiele gespielt und ich sage mal auch Blödsinn gequatscht. Aber was interessant war, man hatte so den kompletten Querschnitt von der Gesellschaft in der Botschaft, also vom ehemaligen Chef von der Klinik, der mit Frau und Kindern dort war, bis zu den Leuten, die gerade aus dem Knast gekommen sind, weil alles war dabei. Und man war auf dichtem Raum und es hat doch gut funktioniert.“
„Wir haben gesehen, dass die Polizei dichter stand. Man konnte da lang gehen die Strasse vor der Botschaft, standen tschechische Polizisten oder Soldaten, sie hatten Maschinenpistolen, das weiss ich noch, die standen gegenüber der Botschaft in Zweiergruppen. Sie standen an der Wand an dem Haus, was gegenüber ist, wir sind da lang gelaufen und haben natürlich immer im Augenwinkel geguckt, ob uns einer aufhalten will, aber war nicht. Ofiziell sind wir ja nur spazieren gegangen. Und an der Botschaft draussen standen, war ein Zettel rangeklebt Die Botschaft wäre vorübergehend geschlossen. Da sind wir dann an der Tür vorbei, alles war zu, und meine Mutter meinte: ‚Gut, das war es dann.‘ Dann ging die Holztür auf. Da standen zwei Männer drin, offensichtlich Botschaftspersonal, der eine hatte einen zusammengerollten Heft in der Hand, die haben sich unterhalten und meine Mutter und ich, dann sind wir quasi im Stechschritt dorthin. Der Mann, der draussen stand, der wollte gerade los, meine Mutter meinte dann zu dem Mann innerhalb der Tür, also auf dem Botschaftsgelände: ‚Können wir Sie mal kurz sprechen?‘ ‚Worum geht es denn?‘ Da meinte sie: ‚Um was wird es denn wohl gehen?‘ ‚Die Botschaft hat zu,‘ und er wollte die Tür schon zumachen. Da hat sie den Fuss in die Tür gestellt, dann hat er zwischen uns durch geguckt und da drehte ich mich auch um, da kamen die Polizisten schon an, um uns zu holen, da hat er kurz aufgemacht und uns reingezogen, die Tür zugeknallt. Meinte er: ‚Eigentlich haben wir geschlossen, aber nun sind Sie hier, willkommen in der Bundesrepublik Deutschland.‘“
„Also das erste, was mir aufgefallen ist, als wir in die DDR-Botschaft reingekommen sind, in das Dienstzimmer, war, hat wie eine ostdeutsche Dienststube gerochen. Die Leute waren, die Angestellten, mit so einem ja verbissenen Gesicht an, die haben uns in dem DDR, in dem ofiziellen Jargon im Prinzip vorgetragen, was es für Konsequenzen hat, dass wir uns das hoffentlich gut überlegt haben. Natürlich haben wir den zugestimmt, haben dann die Urkunde empfangen. Sagen wir, die Angestellten der BRD – Botschaft, die waren alle irgendwie entspannt, also das ist mir gleich aufgefallen. Generell auch, wo wir in der Bundesrepublik angekommen sind. Das war eine ganz andere Atmosphäre.“
Michael Stavenhagen wurde am 31. Dezember 1975 in Potsdam in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik geboren. Den Eisernen Vorhang nahm er schon von Kindesbeinen an wahr, denn vom Küchenfenster aus hatte er Blick auf den Fernsehturm in West-Berlin, der etwa einen Kilometer vom Haus entfernt an die Mauer stieß. Auch dank der Ausstrahlung westdeutscher Fernsehsender hatte Michael zunehmend Zweifel an den Verhältnissen in der DDR. Als sie im Sommer 1989 direkt vor ihrem Haus eine hart niedergeschlagene Demonstration gegen das Regime erlebten, beschloss seine Mutter, aus dem Land zu fliehen. Die Gelegenheit bot sich im Oktober, als sie von Bekannten aus Prag eine Einladung für die Herbstferien erhielt. Nach ihrer Ankunft teilte die Mutter ihren Bekannten mit, dass sie zur Botschaft der BRD gehen wolle. Die größte Gruppe von Flüchtlingen hatte die Botschaft bereits verlassen, aber nach und nach sammelten sich weitere etwa 300 Personen an, und nach elf Tagen und der Bestätigung der Formalitäten durch die Botschaft der DDR wurden sie mit Bussen direkt nach Bayern gebracht. Die Mutter beschloss, näher an Berlin, nach Nienburg an der Weser, zu ziehen. Michael ging dort ein Jahr lang zur Schule, doch einige Zeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands entschied sich die Mutter schließlich für eine Rückkehr nach Potsdam, wo eine Wohnung in ihrem ursprünglichen Zustand auf sie wartete. Michaels Rückkehr in seine alte Schule war nicht angenehm, er wäre lieber im Westen geblieben. Später absolvierte er eine Ausbildung zum Elektriker bei der Firma Siemens in Berlin, studierte dort Maschinenbau und beschloss, die Welt zu bereisen. Er hielt es immer für wichtig, dass die Menschen ein freies, zufriedenes Leben ohne Diktatur führen können, die die Bürger unter Kontrolle hält.
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