Následující text není historickou studií. Jedná se o převyprávění pamětníkových životních osudů na základě jeho vzpomínek zaznamenaných v rozhovoru. Vyprávění zpracovali externí spolupracovníci Paměti národa. V některých případech jsou při zpracování medailonu využity materiály zpřístupněné Archivem bezpečnostních složek (ABS), Státními okresními archivy (SOA), Národním archivem (NA), či jinými institucemi. Užíváme je pouze jako doplněk pamětníkova svědectví. Citované strany svazků jsou uloženy v sekci Dodatečné materiály.

Pokud máte k textu připomínky nebo jej chcete doplnit, kontaktujte prosím šéfredaktora Paměti národa. (michal.smid@ustrcr.cz)

Olga Sippl (* 1920)

Ich habe mein Leben in der Seligergemeinde verbracht.

  • 1920 Geburt in Altrohlau bei Karlsbad

  • Aufwachsen in den Jugendorganisationen der sudetendeutschen Sozialdemokratie

  • nach der Schule: Tätigkeit für die Versicherungsgesellschaft Urania

  • 1938 Umzug nach Prag

  • 1938 Flucht der Familie aus Altrohlau nach Prag

  • gescheiterte Emigration

  • März 1939 Rückkehr mit ihrem späteren Mann nach Altrohlau

  • 1943 Geburt des Sohnes Herbert

  • 1945 Tod ihres Mannes

  • 1945 Tätigkeit im Antifa-Büro in Karlsbad

  • 1945 Aussiedlung nach Bayern mit dem letzten Antifa-Transport

  • 1949 Angestellte der bayerischen SPD in München

  • 1951 Gründung der Seliger-Gemeinde

  • Redaktionsmitglied im Verlag „Die Brücke“, im Bundesvorstand der Seliger-Gemeinde, Vertreterin der Seliger-Gemeinde im Flüchtlingsbeirat der SPD, später Ehrenvorsitzende der Seliger-Gemeinde

00:00

Olga Sippl wurde 1920 in Altrohlau bei Karlsbad (heute Stará Role) geboren. Ihre Eltern waren von Beginn an in der Arbeiterbewegung engagiert und so wuchs auch sie in den Kinderorganisationen wie den Falken, der Sozialistischen Jugend, dem Arbeiter Turn- und Sportverein auf. Ihre Eltern waren vor allem Kulturpolitiker und engagierten sich u.a. im Arbeiterheim, das ein Zentrum für die gesamte Bevölkerung des Ortes war. Sippls Vater war ab 1924 Schulwart an der Volks- und Bürgerschule, sie selbst wuchs damit für ein Arbeiterkind beinahe privilegiert auf, hatte viel Platz um sich herum und war schon als Kind sehr selbstständig. Sippl besuchte zunächst die Mädchenvolksschule und belegte dann Handelsschulkurse in der Bürgerschule.

1933 kamen sozialdemokratische Emigranten aus dem Deutschen Reich, 1934 dann die österreichische Emigranten, und Sippl erinnert sich an die große Solidarität diesen gegenüber. Nach Abschluss der Schule wollte Sippl nicht in einer Porzellanfabrik arbeiten wie üblich, besuchte zunächst ein halbes Jahr eine tschechische Schule (ihr Großvater war Tscheche aus Tabor) und begann schließlich eine Anstellung bei der Versicherungsgesellschaft Urania. Zudem arbeitete sie als Aushilfe im Parteibüro. Am 1. Mai 1938 trat Sippl eine Stelle bei der Zentralen Versicherungsanstalt in Prag an und erlebte so die zentrale Maikundgebung in der Hauptstadt mit.

17:26 Details zur Kindheit

Bei Kulturveranstaltungen der Eltern wollte Sippl nie gerne auftreten, nur an Ballettaufführungen beteiligte sie sich. Der Tschechischunterricht in der Schule war eine Selbstverständlichkeit. Befreit war Sippl jedoch vom Religionsunterricht, da ihr Vater im Zuge der Dollfußaffäre aus Protest aus der Kirche ausgetreten war. Sippl beschreibt sich selbst als ein mutiges und selbstständiges Kind. Ihr Vater war Absolvent der Porzellanfachschule in Karlsbad und hatte ein Weiterbildung als Hobbymaler absolviert.

24:04 Ethnische Zusammensetzung Altrohlaus

Im Ort waren von 9.000 Einwohnern lediglich der Gendarmeriemeister, der Postmeister, der Briefträger sowie zwei weitere Familien Tschechen. Trotz der zahlreichen Wechsel der Staatsangehörigkeit ihres Heimatortes ist Altrohlau stets ihre Heimat, da auch ihre Vorfahren dort geboren sind. In der tschechischen Bürgerschule besuchte sie usätzliche Kurse in Buchhaltung, Schreibmaschine, Stenographie; die Schule wurde überwiegend von tschechischen Schülerinnen aus den deutschen Sprachgebieten besucht.

30:40 Karlsbad in den 30er Jahren

Bis etwa 1933 gab es kaum Auseinandersetzungen mit Tschechen, dagegen sogar zahlreiche Verbindungen über die Sozialdemokratie. Sippl berichtet beispielsweise von einem Zeltlager der Falken in Prag und dem gegenüberliegenden Zeltplatz der tschechischen Jugendorganisation, sowie von gemeinsamen Aufmärschen zu politischen Anlässen. Die Tschechoslowakei bezeichnet Sippl als eine „relative Demokratie“, sie war nicht so, wie sie bei der Gründung erhofft worden war, da sich das Selbstbestimmungsrecht als Minderheit nicht erfüllte, aber dennoch eine verteidigungswürdige Demokratie.

Im Karlsbader Gebiet war die Arbeiterbewegung sehr stark, aber ebenso die Sudetendeutsche Partei. Diese Polarisierung entstand durch die hohe Arbeitslosigkeit in der einseitig auf Porzellan ausgerichteten Industrie des Grenzlandes. Viele Menschen arbeiteten als Folge der Arbeitslosigkeit nach der Weltwirtschaftskrise auf der anderen Seite der Grenze bspw. im Straßenbau oder der Rüstungsindustrie. Sippls Mann war 7 Jahre arbeitslos, er war gelernter Lederkaufmann, die Schwiegermutter musste als Porzellandruckerin die gesamte Familie ernähren, der Schwiegervater ging später als Maschinenmeister nach Deutschland zum Arbeiten.

38:55 1938

Mit dem Umzug nach Prag begann der einschneidenste Abschnitt in Sippls Leben. Sie war glücklich in der Hauptstadt selbstständig arbeiten zu können, ihr Mann Ernst lebte auch dort. Von den Kolleginnen wurde sie in den Turnverein integriert, der v.a. ein Zusammenschluss von Zugezogenen aus der Provinz war. Sippl fühlte sich dagegen nicht heimisch in der Prager Sozialistischen Jugend, da diese vorwiegend aus Studenten der Prager Universität bestand.

Nach der Besetzung des Sudetengebiete durch die deutschen Truppen setzte der Flüchtlingssturm nach Prag ein. Nach der Arbeit engagierte Sippl sich im Parteibüro, das die Aufnahme der Flüchtlinge koordinierte. Die Mutter kam in ein Flüchtlingslager nach Beroun, der Vater durfte aus Altrohlau zunächst nicht weg, da er Staatsangestellter war. Nachdem er mehrmals von Reichsdeutschen bedroht worden war, verhalf ihm der tschechische Gendarm zur Flucht nach Prag. Sippl holte dann ihre Mutter und Bruder aus Beroun ebenfalls nach Prag.

52:27 Gescheiterte Emigration

Nachdem klar war, dass die Besetzung anhalten wurde, begann die politische Emigration aus der Tschechoslowakei. Die Familie von Frau Sippl bekam Interimspässe zur Ausreise nach Schottland. Am Tag der Abreise durfte Sippl selbst allerdings nicht mit ausreisen, da sie sich am Tag der Besetzung nicht im Sudetenland befunden hatte. Sie blieb also ohne ihre Familie in Prag und arbeitete weiter.

56:47 März 1939 Flucht nach Altrohlau

Informiert durch einen Spion aus den sozialdemokratischen Reihen konnte Sippl vor Einmarsch der Truppen in Prag am 15. März nach Altrohlau zu ihrer Großmutter flüchten. In Altrohlau bekam sie sodann Vorstellungseinweisungen zu verschiedenen nationalsozialistischen Ämtern und begann schließlich eine Anstellung bei der Landwirtschaftlichen Aufbaustelle des Reichsstaathalters im Sudetengau und der Ministerialrat wurde ihr Schutzengel. Da sie weder großjährig war und zudem keine Staatsbürgerschaft mehr besaß, musste sie heiraten um in einer Behörde arbeiten zu können. Nach einigen Schwierigkeiten heiratete Frau Sippl dann am 14. Oktober 1939 ihren damaligen Freund Ernst Sippl heiraten. Ihr Mann war bisher als Facharbeiter freigestellt gewesen, wurde zum Februar 1940 jedoch eingezogen und fiel im März 1945 beim Rückzug.

01:08:32 Kriegsjahre in Altrohlau

Während des Krieges war Sippl beim Reichsstaathalter beschäftigt. Der Einberufung zur Flakhelferin entging sie knapp, da sie in einem Haupturlaub ihres Mannes schwanger wurde. Dieser lernte den gemeinsamen Sohn nie kennen.

01:14:25 Nach Kriegsende

Nach Kriegsende arbeite Sippl im Parteibüro als Hilfskraft für die Aussiedlung, so dass sie selbst erst mit dem letzten Transport im November 1945 in die amerikanische Zone ausgesiedelt wurde. Ihre Tschechischkenntnisse halfen ihr sehr, da sie nicht als Deutsche erkannt wurde, zudem musste sie als anerkannte Antifaschistin nicht die weiße Binde der Deutschen tragen. Sie ließ sich dann freiwillig aussiedlen, da ihre gesamte Verwandtschaft schon die Tschechoslowakei verlassen hatte und sie sich zudem nicht als Tschechin bekennen wollte. Die tschechoslowakischen Antifaschisten waren großteils verbittert, da sie häufig mit den Sudetendeutschen gleichgestellt wurden und nicht als Sozialdemokraten, sondern als Deutsche wahrgenommen wurden.

01:22:17 Aussiedlung

Sippl wurde mit dem letzten Antifa-Transport im November 1945 in das Auffanglager in Furth im Wald gebracht. Sie hatte erreicht, dass sie auf einer Liste mit ihren Schwiegereltern stand, obwohl diese eigentlich in die russische Zone ausgesiedelt werden sollten. Sie kamen zunächst nach Mühldorf und dann in ein Barackenlager nach Mettenheim. Ihr Sohn war damals drei Jahre alt, von einer Epidemie von Kinderkrankheiten genaß er lediglich, da sie mithilfe polnischer Zwangsarbeiter die versiegelten Waggons aufbrach.

01:26:39 Ankunft in Bayern

Ende 1945 gab es keine offenen Ansiedlungsgebiete in Bayern mehr, Sippls Eltern empfahlen ihr jedoch, an einen Bekannten, der stellvertretender Staatssekretär für das Flüchtlingswesen in München war, zu wenden, so dass sie in das kriegszerstörte München reiste. Ein Bekannter aus Altrohlau half ihr schließlich in Wolfratshausen Fuß zu fassen, danach zog sie nach Königsdorf.

01:31:16 Anfangsjahre in Bayern

Im Januar 1946 wurde die Arbeiterwohlfahrt gegründet, und dann der SPD-Ortsverein in einem ansonsten katholischen Dorf. Sippl begann zunächst auf einem Gutshof zu arbeiten, der Flüchtlingsfrauen für Feldarbeiter einstellte. Anfang 1948 reiste Sippl mit ihrem Sohn zu ihren Eltern nach England, konnte jedoch nicht bleiben, da das Kind das Klima nicht vertrug, so dass sie im September 1948 nach Bayern zurückkehrte. 1949 begann Sippl im Verlag „Das Volk“ zu arbeiten und wurde Gründungsmitglied der Seligermeinde und war zudem zu der Zeit Redaktionssekretärin im Verlag „Die Brücke“, später Anzeigenleiterin und Redakteurin. 1956 kamen ihre Eltern aus der Emigration und ihr Vater wurde Vorstand er Seligermeinde München.

01:40:05 Seligergemeinde

Die Seligergemeinde war die letzte der sudetendeutschen Gesinnungsgemeinschaften, die in der Nachkriegszeit entstanden. Alle Emigraten wurden sofort parteipolitisch aktiv und gründeten ab 1946 erste Parteien auf dem Land, wo es vorher die SPD nie gegeben hatte. Die Seligergemeinde entstand aus der Erkenntnis heraus, dass die Flüchtlingsprobleme parteiübergreifend waren, so dass auch Repräsentanten der Sozialdemokratie der Tschechoslowakei in der Interessensvertretung notwendig sein. Die Schwierigkeit bestand dabei darin, die Interesse politisch verfolgter Aussiedler und Spätheimkehrer unter ein Dach bringen zu müssen. Innerhalb der SPD wurde ein Vertriebenenbeirat gegründet, der die Interessen aller Vertriebenen vertreten sollte, eine Einigung war aber aufgrund der sehr unterschiedlichen Erlebenisse schwierig. Die Seligergemeinde versteht sich als die Fortsetzung der deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakei (DSAP) und ist eine Fortsetzung der aus der Emigration entstandenen Treuegemeinschaften in England oder Schweden. Die DSAP-Tradition macht jedoch den Weiterbestand schwierig, da die junge Generation hierzu keine Verbindung mehr hat.

01:49:05 Erinnerung an Akteure der Seligergemeinde

Sippl hat Erinnerungen an verschiedene Akteure der DSAP und der Seligergemeinde, so bspw. an Wenzel Jaksch, Richard Reizner, Ernst Paul und die gesamte Spitze der Seligergemeinde, die sie vor allem aufgrund ihrer Pressearbeit kannte. So hatte sie auch zahlreiche internationale Kontakte bspw. zu Politikern, die in der Emigration mit Sudetendeutschen zusammengearbeitet hatten. Zudem kannte Sippl bereits viele aus den Stützpunkten der ehemaligen deutschen Partei in Böhmen (z.B. Aussig, Karlsbad, Teplitz).

01:57:28 Sippls Rolle in der Seligergemeinde

Sippl war Mitbegründering der Seligergemeinde, dann Mitglied des Landesvorstandes und geschäftsführende Vorsitzende. Sie war auch deswegen sehr aktiv, da sie bereits aus der Tschechoslowakei viele kannte und als Witwe keine starken familiären Verpflichtungen hatte. Im Bundesvorstand der Seligergemeinde war sie beinahe von Beginn vertreten und zudem Repräsentantin der Seligermeinde im Flüchtlingsbeirates der SPD. Hinzu kam ihre Redaktionsarbeit bei „Die Brücke“, durch die sie viele Kontakte zu den verbliebenen Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei unterhielt. Sie stellte auch die Verbindung der Seligergemeinde mit den Auslandsgruppen in England, Schweden und Kanada dar. Schließlich wurde sie zur Ehrenvorsitzenden der Seligergemeinde ernannt.

02:04:42 Beziehungen zu Kommunisten in der Tschechoslowakei

Zu den Kommunisten in der Tschechoslowakei bestand nur ganz zu Anfang bei der Vorbereitung der Aussiedlung Kontakte. Im Zuge der Reformen in der sechziger Jahren wurde eine Kontaktaufnahme mit den tschechischen Sozialdemokraten versucht, diese gestalteten sich jedoch schwierig, da niemand aus den alten Parteien mehr vertreten war.

02:09:08 Erster Besuch in der Tschechoslowakei

Sippl besuchte Anfang der sechziger Jahre das erste Mal wieder die Tschechoslowakei. Sie hatte jedoch keine persönliche Verbindung mit Karlsbadern mehr, und fuhr lediglich der Landschaft wegen. In der Brücke verfasste sie einen Artikel über den Besuch unter dem Motto „Böhmen ist mein Heimatland, aber zuhause bin ich in München.“ Für sie stellte der Besuch eine Entfremdung dar, da die Menschen nicht mehr vorhanden waren.

02:12:29 Zukunft der Seligergemeinde

Sippl plädoyiert dafür, dass die 60-jährige Arbeit der Seligergemeinde nicht im Sande verlaufen darf. Sie vertritt den Wahlspruch, dass man nicht spurlos aus der Geschichte verschwinden dürfte. Die Seligergemeinde tritt für das Zusammenleben der Menschen ohne Krieg, für gegenseitigen Respekte, den europäischen Gedanken und die Völkergemeinschaft ein. Die Seligergemeinde will mit ihren Erfahrungen und im Sinne des sozialdemokratischen Gedankens für diese Ideen eintreten.

© Všechna práva vycházejí z práv projektu: Not to disappear from history

  • Příbeh pamětníka v rámci projektu Not to disappear from history (Dorothee Ahlers)