Olga Sippl

* 1920

  • „Meine Eltern, wie es in Industriegebieten der Fall gewesen ist, waren ebenfalls von Anfang an in der Arbeiterbewegung, so dass sie, äh, mein Weg von Anfang an schon vorgeschrieben war. Denn es war eine Selbstverständlichkeit, dass Arbeiterkinder in die Kinderorganisationen, die Kinderfreunde, die Falken, die Sozialistische Jugend, den Arbeiterturn- und Sportbewegung integriert werden, um so allmählich in die Arbeiterbewegung herein zu wachsen. Meine Eltern waren beide engagierte, vor allen Dingen Kulturpolitiker. Sie haben sich nicht nur um die Kinderfreundebewegung, also die Fortbildung, Musik und Spiele und kleine Kunstgeschichte gekümmert, sondern vor allen Dingen waren sie den Arbeitersängern sehr verpflichtet. Haben beide aktiv mitgewirkt und auch organisatorisch an den Sängerfesten und so weiter mitgewirkt. Außerdem waren sie aktiv in der Bühnenfreunde hieß es, das war die Theatersektion, weil wir Gott sehr Dank über ein sehr großes Arbeiterheim in unserem Ort verfügten, mit zwei Sälen und Clubräumen, so dass das ein Zentrum für die ganze Bevölkerung gewesen ist, die ja damals Fernsehgeräte überhaupt nict und Rundfunkgeräte nur sehr spärlich. Das ganze Vereinsleben spielte sich also bei uns in dem Arbeiterheim ab.“

  • „Mein Mann allein war 7 Jahre arbeitslos. Und zwar war er aber gelernter Lederkaufmann, und sogar Spezialist im Ledereinkauf, nicht also bloß Verkäufer, sondern wirklich ein Spezialist. Die Schwiegermutter war Porzellandruckerin. Die musste die ganze Familie ernähren. Dann ging der Schwiegervater aus Verzweiflung, erst hat er es mit Reisen und allem möglichen versucht, und mein Mann auch, aus Verzweiflung hat er sich dann gemeldet als, er war Maschinenmeister, nach Deutschland und hat gesagt „Ja, dazu gehen tu ich aber nirgends, das versprech ich dir.“ Weil die Mutter Gewerkschaftsfunktionärin. Und hat er auch geschafft. Aber, der hat in einer Woche so viel verdient wie die Mutter im ganzen Monat. Aber es war einfach die Arbeitslosigkeit, die die Menschen mürbe gemacht hat. Da gab es verfallene Schächte, Braunkohlenschächte, wo die Menschen also versucht haben, noch was rauszuholen. Die tschechischen Gendarmen haben ihnen die Wägen umgeschüttet, weil es verboten war, die gingen nur nach ihrem Verbot. Dadurch entwickelte sich natürlich auch der Hass immer mehr.“

  • „Und eines Tages stand ein Jugendfreund von mir mit meiner Mama vor der Tür. Ich hab in Untermiete bei einer deutschen Familie und meine Mama mit meinem Bruder hat mein Vater „geht’s jetzt erst mal nach Prag zu der Olga, irgendwo bringt sie euch schon unter.“ Und das war der Anfang und die wurden, ich bin mit ihnen dann ins Parteibüro gegangen, und die wurden erst nach Beroun, da wurden sie als erste hingeschickt ins Lager. Und der Papa durfte ja nicht weg, er war ja Staatsangestellter und für die Schule noch verantwortlich. Obwohl er ständig unter Steinbeschuss und allem möglichen war. Und zwar deshalb- es wurden die Radios ja eingezogen bei der Hitlerrede, eingelagert wurde sie bei uns in der Schule und mein Vater war dafür verantwortlich, dass keiner sein Radio holen darf. Von tschechischen Gendarmen dazu verdonnert. „Herr Stohwasser, Sie haben die Verantwortung.“ Jetzt können Sie sich vorstellen, wie die Deutschen da meinen Vater traktiert haben, mit Steinen die Fenster eingeschossen und ihm aufgelauert und alles Mögliche. Aber es ging auf die Dauer nicht, bis der tschechische Gendarm kam und sagte „Stohwasser, jetzt packen Sie etwas in die Tasche, keinen Koffer, ich bring Sie zum Bahnhof, es ist der letzte Zug nach Prag, die schlagen Sie tot“, hat er gesagt. „Ich muss auch weg.“ Und dann ist er mit dem Papa zum Bahnhof und zwar sind sie da – weiß ich noch, wie er es erzählt hat – unten durch den Turnsaal und hinten durchs Volksbad, damit da an den Türen, wo sie gelauert haben, damit sie da nicht raus gehen müssen. Und dann kam mein Vater mit einem Rasierapparat in der Tasche zu mir nach Prag. Aber der kam dann nicht zu mir in die Wohnung, sondern inzwischen war ein Studentenheim beschlagnahmt worden, einige wahrscheinlich, aber in dieses Studentenheim wurde dann vom Büro dort aus schon… wir standen ja ständig am Masaryk-Bahnhof und haben die Transporte abgelauert. Wir haben da im Schichtdienst gearbeitet, wir deutschen Angestellten. Und zwar eben aus verschiedenen Gebieten, einer aus Westböhmen, einer aus Nordböhmen, und dass wir die Leute weitertransportieren konnten. Und dann kam mein Vater, im Studentenheim, und dann haben wir die Mama geholt. Da habe ich einen Freund einer Freundin, der hatte ein Motorrad und der fuhr mit mir nach Beroun und hatte meine Mama mit ihrem Köfferchen und meinen Bruder, sind wir zu viert auf dem Motorrad nach Prag gefahren ins Lager. Aber dann war die Familie wieder beisammen.“

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    München, 24.07.2014

    (audio)
    délka: 02:17:54
    nahrávka pořízena v rámci projektu Nicht spurlos aus der Geschichte verschwinden
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Ich habe mein Leben in der Seligergemeinde verbracht.

Olga Sippl 2014
Olga Sippl 2014
zdroj: Miloslav Man

Olga Sippl, geb. Stohwasser, wurde am 19. September 1920 in Altrohlau nahe Karlsbad geboren. Sie stammt aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie und wuchs somit bereits in den Kinder- und Jugendorganisationen der sudetendeutschen Arbeiterbewegung wie Falken, Sozialistische Jugend oder Arbeiter Turn- und Sportverein auf. Hier erlebte sie auch die Solidarität mit den tschechischen Sozialdemokraten. Ihr Vater war Schulwart an der Volks- und Bürgerschule und ihre Eltern vor allem als Kulturpolitiker aktiv. Sippl besuchte die deutschsprachige Mädchenvolksschule und auch ein halbes Jahr die tschechischsprachige Bürgerschule. Nach dem Abschluss nahm sie eine Arbeit der Karlsbader Urania an, in dessen Prager Büro sie ab 1938 arbeitete. Nach dem Münchener Abkommen flüchteten ihre Eltern aus Altrohlau, das an das Deutsche Reich angeschlossen wurde, nach Prag. Sippl konnte jedoch ihre Eltern nicht in die Emigration nach England folgen, da sie sich zum Zeitpunkt des Anschlusses nicht in den Sudetengebieten aufhielt. Kurz vor der Besetzung Prags durch die deutsche Wehrmacht ging sie mit ihrem Freund und späteren Mann Ernst Sippl nach Altrohlau. Dort heirateten sie, ihr Mann wurde jedoch eingezogen und fiel im März 1945. 1943 wurde ihr gemeinsamer Sohn Herbert geboren. Nach Kriegsende arbeitete Sippl im Karlsbader Antifa-Büro, das die Aussiedlung der als Antifaschisten anerkannten Sudetendeutschen organisierte. Sie selbst, ihr Sohn und ihre Schwiegereltern verließen mit dem letzten Antifa-Transport die Tschechoslowakei. Nach Aufenthalten in einem Aufnahmelager, in Königsdorf und bei ihren Eltern im englischen Birmingham wurde sie schließlich 1949 Angestellte der bayerischen SPD in München. 1951 gründete sie die Seliger-Gemeinde mit und war Redaktionsmitglied des Verlages „Die Brücke“. Sie war zudem im Bundesvorstand der Seliger-Gemeinde, Vertreterin der Seliger-Gemeinde im Flüchtlingsbeirat der SPD und wurde später zur Ehrenvorsitzenden ernannt.