Ewald Seifert

* 1937

  • "Einer nacht, es war schon halb zwölf, Anfang, Mitte Dezember, klopft es draußen an der Tür. Meine Mutter – die war immer unerschrocken, sie hat sich vor überhaupt nichts gefürchtet. Die ist rausgegangen, hat die Tür aufgerissen und da stand ein unbekannter Mann und sagte, er braucht noch ein Nachtquartier. Das war mein Vater. Er ist in Frankreich gewesen, im Krieg, ist in der Normandie, oben, in Gefangenschaft geraten, in amerikanische Gefangenschaft. Dort sind ja Engländer und Amerikaner gelandet. Er sagte, der Himmel war schwarz vor lauter Fallschirmen, so viele sind da gekommen. Er war an einer PaK (Panzerabwehrkanone); von 14 Mann an dem Geschütz waren nur noch drei übrig, die anderen waren schon alle tot. Sie haben die drei dann noch gefangen genommen und auf einen deutschen Frachter nach Amerika geschafft. Und unterwegs sind sie dann noch von amerikanischen oder englischen Flugzeugen beschossen worden, weil es ja ein deutscher Frachter war. Da waren 6000 Mann drauf. Und dann mussten sie acht Monate in Amerika auf Farmen arbeiten. Dann wurden sie auf einem Schiff wieder rüber gefahren und im Rheinland entlassen. Mein Vater wusste nicht, wo wir sind. Er wusste zwar, dass wir nicht mehr in der alten Heimat sind, aber wo wir sind, wusste er nicht. Wir wussten nicht, ob er noch lebt oder wo er ist. Dann ist er im Dezember bis nach Steinach, das war ein Eisenbahnknotenpunkt zwischen Würzburg und Nürnberg oder Treuchtlingen – bis dahin ist er gefahren und ist in der Nacht über die Felder nach Ohrnbach gelaufen. Das ist eine große Ortschaft, er konnte niemanden fragen, wo wir wohnen, und hat uns dennoch gefunden, mitten in der Nacht."

  • "An dem Tag, an dem wir fort mussten ist in der früh ein Soldat mit einem Gewehr gekommen und hat mit Gewehrkolben an die Tür geschlagen. Das war vielleicht so um sechs, halb sieben. Er hatte ein Zettel gehabt, handschriftlich und darauf waren viele Namen und die hatte er jedes Mal vorgelesen – so gut wie er es auf Deutsch vorlesen konnte- und wenn man dabei war, und in diesem Fall waren wir ja dabei, dann mussten wir eine Stunde später beim Gasthaus Beitz sein. Das war das größte Gasthaus vis-a-vis von der Kirche, da mussten wir hin. Glücklicherweise haben uns die Bauersleute, aus dem Bauernhaus Nummer 40 wo wir waren mitgenommen. Sie haben uns mit dem Fuhrwerk wenigstens bis zu dem Sammelplatz gefahren, sonst hätten wir die Kisten tragen oder auf dem Boden schleifen müssen. Also, da waren wir in der Früh dort und das war, ich weiß das Datum nicht mehr genau, aber es war Mitte August 1946. Ich glaube, es war ein Donnerstag. Auf jeden Fall waren wir dort, auf dem Dorfplatz und es war schönes Wetter, aber es ist immer heißer geworden, immer heißer geworden, und wir sind am Nachmittag um vier Uhr immer noch dort gestanden, in der sengenden Hitze. Niemand hat uns gefragt, ob wir Hunger oder Durst haben. Jedenfalls sind wir dann mit einem 'Holzgasauto' nach Niklasdorf gefahren worden, mit einem Lastauto. Wir alle waren hinten drauf und der Tscheche ist da vorne wie ein Henker unter der Bäumen durch gefahren. Uns hat das fast vom Lastwagen gerissen, in den Kurven ist der Lastwagen fast umgekippt."

  • "Wir waren dann im Niklasdorf, in einem Lager, ich weiß nicht mehr genau wie lange, ich denke so sieben, acht Tage waren wir da und das war die 'Muna' – Die Munitionsfabrik aus Hitlerszeiten . Wir waren in den Mannschaftsbaracken einquartiert. In dem Zentralgebiet war es so – die Muna war abgeriegelt und man konnte nicht reinkommen. In unserem äußeren Bereich war extra ein Bahngleis gebaut gewesen und da ist immer ein Zug mit Viehwagons bereit gestellt worden. In jeden Viehwagon mussten immer 30 Personen rein, dann ist die Tür zugemacht worden, die Nächsten in den nächsten Wagon, dabei sind Familien auseinander gerissen worden und der Zug hatte immer 40 Wagons á 30 Personen, plus Wachpersonal mit Gewehren. Dann sind wir mit zwei Loks abtransportiert worden, da esja über die Berge geht, Richtung Prag. Wir waren 3 Nächte und 3 Tage unterwegs mit dem Zug, sind aber mal ein paar Stunden vor Prag gestanden, in der sengenden Hitze. Wir hatten keine Möglichkeit aufs Klo zu gehen, auch wie gesagt, keinen Vorhang oder sonst was. Ein kleines Mädchen, was auch dabei war, war vier Jahre alt und hatte so einen kleinen Blecheimer zum Sandspielen – das haben alle 30 Personen benutzt und alle anderen haben zugeschaut. Es gab also keine Privatsphäre. Auch nicht für die Frauen, und es waren hauptsächlich Frauen und Kinder, Männer gab es ja nicht, die waren im Krieg."

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    Jeseník, 09.08.2015

    (audio)
    délka: 01:06:08
    nahrávka pořízena v rámci projektu Memories for the Future
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Wir haben es ja gut gehabt

Seifert Ewald
Seifert Ewald
zdroj: Pamět Národa - Archiv

Ewald Seifert wurde am 8.5.1937 in Schwarzwasser (heute Černa Voda) als viertes von sechs Kindern geboren. Sein Vater arbeitete im Steinbruch und seine Mutter führte den Haushalt, wenn sie nicht in der Landwirtschaft arbeitete. Er besuchte etwa eineinhalb Jahre lang die Schule in Schwarzwasser, bis dort nach dem Krieg nur noch Tschechisch gesprochen werden durfte, was er - wie die meisten Deutschen - nicht konnte. Die Ausgrenzung setzte sich über alltägliche Schikanen bis hin zum Tragen von weißen Armbinden mit einem schwarzem „N“ für „Nemecky“ fort. Mitte August 1946 muss die Familie innerhalb von Stunden alle Sachen zusammenpacken und sich dann zur „Muna“, zur ehemaligen Munitionsfabrik in Niklasdorf begeben. Von dort wird er mit vielen anderen Deutschen in einer Zugfahrt in Viehwagons, die zwei Tage und drei Nächte dauert, über Prag nach Bayern gebracht. Über mehrere Stationen kommt er mit seiner Familie schließlich im September 1946 nach Ohrnbach bei Rothenburg ob der Tauber. Der Empfang durch die bayerische Bevölkerung schwankt zwischen unverhohlener Ablehnung gegenüber den „Flüchtlingen“, die Sudetendeutschen legen immer Wert darauf, „Heimatvertriebene“ zu sein, und solidarischer Aufnahme in schweren Zeiten für allen Menschen. Die Familie baut sich in Ohrnbach ein neues Leben auf, ab Dezember 1945 auch mit dem Vater, der aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zu seiner Familie findet. Seifert macht eine Lehre, gründet eine Familie, baut ein Haus und fährt ab 1980 immer wieder in seine „alte Heimat“.