Následující text není historickou studií. Jedná se o převyprávění pamětníkových životních osudů na základě jeho vzpomínek zaznamenaných v rozhovoru. Vyprávění zpracovali externí spolupracovníci Paměti národa. V některých případech jsou při zpracování medailonu využity materiály zpřístupněné Archivem bezpečnostních složek (ABS), Státními okresními archivy (SOA), Národním archivem (NA), či jinými institucemi. Užíváme je pouze jako doplněk pamětníkova svědectví. Citované strany svazků jsou uloženy v sekci Dodatečné materiály.

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Röschen Schmidt ()

Dann sind wir die Straße langsam weiter gezogen. Überall Leute, die gerade vor dir vorbeikamen, haben hinterher am Straßenrand gelegen und waren tot.

  • im1931 im Pyhrene, dem heutigen Pyrzany (Polen), geboren

  • infolge der polnischen Besetzung wurde die Familie im Juni 1945 gezwungen, ihr Heimatdorf zu verlassen

  • heute lebt in Berlin-Blankenburg

I:Ich würde Sie bitten, Ihre Lebensgeschichte zu erzählen.

FRAU SCHMIDT: Ich bin Röschen Schmidt, geborene Pade, ich komme ausdem Kreis Landsberg-Warthe, und bin am 2.8.1931 in Pyhrene geboren. Ich hatte dort eine ganz herrliche Kindheit, wie ich mich erinnern kann. Das war ganz toll. Wir Kinder haben dort ein ganz unbeschwertes Leben geführt. Wir konnten stundenlang spielen, ohne dass uns jemand was getan hat. Wir brauchten uns nicht fürchten. Ich hatte da viele Freunde und es war wunderschön. Meine Eltern hatten dort ein Geschäft. Sie haben in den Markthallen von Berlin mit Ware vom Land gehandelt, die sie direkt beim Bauer aufgekauft haben und dort dann in Berlin verkauft haben. Also ohne einen Zwischenbetrieb. Sie haben das vom Erzeuger zum Verbraucher gebracht. Und uns ging es eigentlich sehr gut. Meine Eltern waren viel unterwegs und ich hatte ein Kindermädchen und einen Bruder. Mit dem habe ich mich zwar öfter gekloppt, aber sonst haben wir uns gut vertragen. Und dann kam natürlich das Schlimme. Mein Vater musste dann in den Krieg. 1939 begann der Krieg. Und ich wurde ja vorher, 1938 eingeschult. Und ich bin dort in die Schule in Pyhrene gegangen. Die Schule hatte zwei Klassen. Von der ersten bis zur vierten in eine Klasse und von der fünften bis zur achten in der anderen Klasse. Wir hatten eine ganz tolle Lehrerin, die hieß Fräulein Klinge, sie war ganz lieb zu uns Schülern und wir hatten einen Direktor, der war furchtbar. Das war ein Original-Nazi. Wenn man abends auf die Straße ging und ihn traf und man hat nicht richtig „Heil Hitler“ gesagt, dann hat er gesagt: „Zurück, Marsch, Marsch!“ Und dann musste man an ihm vorbei marschieren und nochmal sagen „Heil Hitler, Herr Knitzinger“. Und das war furchtbar.

Ja, und so haben wir da eigentlich eine schöne Jugend verlebt. Bis dann der Krieg und die Russen zu uns kamen. Und die kamen genau am 31. Januar zu uns. Wir hatten eigentlich noch Posten ausgeschickt, die aufpassen sollten, wann die Russen kommen. Aber die sind so leise ins Dorf gekommen, dass uns gar keiner mehr wecken konnte von den Leuten die Posten gestanden haben. Und dann hörte ich da so ein „Tschaba, tschaba“ am Fenster und da sagt mein Bruder: „Mutti, die Russen sind da!“ Wir hatten vor lauter Angst schon alle in einem Bett geschlafen, also in den Ehebetten. Und da hab ich gesagt: „Hau doch mal dem Fritz ein paar. Der macht mir Angst. Die Russen sind doch gar nicht da.“ Und dann hab ich gesagt, „Nee, nee, lass sein, Mutti. Es sind doch die Russen, “ als ich das richtig gehört habe. Naja, und dann hörten wir schon das Klopfen. (Zeitzeugin klopft mehrmals auf den Tisch) So haben die dreimal hinten an die Tür geklopft. Und da ist meine Mutter zur Tür gegangen und hat sich vorher natürlich noch einen Morgenrock angezogen in aller Eile und ist in die Küche gegangen und hat einen „Browning“ herausgeholt, so eine kleine Pistole und hat sich die in die Tasche gesteckt. Die hatten wir noch von den Geschäften meiner Eltern. Und dann ist sie gegangen, hat die Tür aufgemacht, wir hatten so eine Korridortür, so eine dicke. Dann ging’s in die Veranda, die Verandatür flog an sie ran und dann strömten so dreizehn bis vierzehn Russen ins Haus. Wir Kinder standen auf dem Treppenabsatz im Korridor und ich habe mir gesagt: „oooouuurrhhh“ Weil da solche Horten waren, solche große. Dann habe ich zu meinem Bruder gesagt. „Du, das sind ja richtige Menschen.“ Denn die Propaganda hat ja immer erzählt, was das für Teufel sein sollten, die Russen und so.“ Dann habe ich gesagt: „Guck mal das sind ja richtige Menschen, da brauchen wir keine Angst haben.“ Und zu mir waren die sowieso nett. Ich war ja so ein Maligner, so klein niedlich, mit langen Zöpfen, und die wollten mich dann alle auf den Schoß halten. Und da haben wir die erste Zeit gar nichts Schlechtes erlebt. Bloß dann in der Nacht, am nächsten Morgen kamen dann die deutschen Tiefflieger. Und da hat sich diese Truppe dann wieder auf den Weg nach Fietz gemacht. Und dann kamen die deutschen Tiefflieger und haben die dann wohl niedergemacht. Und dann hatten die so viel Verluste auf dem Weg, dass dann ein paar zurück kamen ins Dorf und die standen dann vor uns, wollten meine Mutter erschießen.

Das Radio sollten wir runterschmeißen und das Telefon und alles so was. Dann kam aber dieser Stanislaus, von meinem Onkel, dieser Pole. Und der hat irgendwas zu den Russen gesagt und dann hat er uns nichts getan. So, da hat er uns eigentlich das Leben gerettet, dieser Pole. Dann kamen die beiden Jüdinnen von oben runter, das hab ich vergessen zu sagen. Wir hatten zwei Jüdinnen im Haus versteckt. Die kamen dann runter und haben gesungen. „Lieber Schatz jetzt ist’s so weit.“ Da hab ich gesagt: „Sagt mal, warum könnt ihr denn jetzt singen?“ Da haben die mir erzählt, dass sie Jüdinnen sind. Da hab ich dann erst mal begriffen, warum ich die ganze Zeit nichts erzählen sollte, nicht darüber sprechen sollte, dass wir angeblich in Lebensgefahr sind, wenn ich was sage. Und da hab‘ ich das erst mal begriffen. Ich wusste bis dahin gar nicht, was Juden sind und was nicht. Ich hatte bloß immer gehört, dass das schlimme Menschen sind. Dann haben wir die Nacht da ein bisschen geruht. Wir hatten uns alle in die Küche getrieben. Und nächsten Morgen haben wir dann geguckt, konnten wir raus gehen. Die deutschen Flieger kamen so tief. Die sind bei uns über den Hof geflogen. Da kam dieser Herr Horn, der war am Nachmittag noch gekommen, dieser Halbjude, kurz bevor die Warthebrücke gesprengt wurde, und der hat gesagt: „Ich konnte eben mit denen Auge in Auge gucken mit den Flugkapitän da. Da hat er gesehen, ich bin Deutscher. Da hat er nicht geschossen.“ Nebenan auf dem Grundstück wohnten die Eltern meiner Mutter, also meine Oma und mein Opa, und ihr Bruder, der Onkel. Da haben sie dann einen Soldaten erschossen, also im Sturzflug. Und dann sind die ja alle weiter gezogen, da waren nur noch ein paar Russen im Dorf und da hatten wir dann mal ein, zwei Tage Freiheit. Und dann kamen die nächsten, und dann mussten wir aus dem Haus raus in das nächste. Alle paar Tage mussten wir von einem Haus ins andere ziehen. Irgendwie wollten die Soldaten das Haus dann immer haben, wenn wir das aufgeräumt hatten. Ich weiß es nicht, ob sie uns schikanieren wollten. Ich weiß es nicht. Und dadurch, dass sie ja die ganzen Leute des Rests des Dorfes die noch da waren, die hatten sie ja alle rausgejagt, – das  hab ich auch der Maria Plajzer geschrieben. Das konnte ich nicht verstehen. Die wussten, dass das mal Polen war, das wussten die alles schon und haben die restlichen Deutschen noch in Richtung Osten gejagt. Das war doch gemein. Da haben sie erst raus in die Wälder gejagt, die wussten gar nicht wohin. Da waren überall Russen. Die fanden da keine Bleibe. Die haben da von Februar bis Mai in den Wäldern da gehaust. Und das fand ich so gemein. Die haben natürlich auch alte Häuser gefunden, wo sie sich niedergelassen haben. Aber es war doch nicht in Ordnung, wenn die wissen, dass sie raus müssen demnächst. Hätten sie doch in Richtung Westen jagen können. Da waren dann nur noch ein paar Leute, die hinten aus dem Dorf rauskamen. In unserem Dorf konnte man aus drei Ausgängen raus. Einmal nach Fichtenwerder, einmal nach Fietz, einmal nach Döllenradung.

Und wir wohnten hier, da kamen dann einmal ein paar Leute vorbei, da hat meine Mutti gesagt: „Wo wollt ihr denn hin? Ihr gehört doch zu uns.“ Da haben die uns gesagt: „Ja wir müssen doch raus.“ Und da hat Mutti gesagt: „Ihr gehört doch zu uns. Kommt her. Wir können bleiben.“ Und das hatten uns die jüdischen Kommissare versprochen, den beiden Jüdinnen, dass wir dableiben können. Und da konnten wir im Dorf bleiben, während fast alle anderen raus mussten. Wir waren da noch zehn, zwölf Mann. Und wir mussten dann nach Kleinheide ziehen, als wir genug umgezogen waren. Ich weiß nicht, drei- oder viermal. Und dann mussten wir nach Kleinheide. Da hatten die Russen dann so einen Bauernhof, den hatten sie bewirtschaftet. Und da mussten wir helfen. Die Kühe melken, wir Kinder, die Jüngeren mussten dann die Felder bestellen. Kartoffeln legen, mit der Hand den Mist auf die Kartoffel legen. Erst die Kartoffel in den Schlauch, dann den Mist drauf. Und da haben die den Polen noch Kartoffeln gelegt. Im März. Dann wollte sich noch eine Bekannte bei uns das Leben nehmen, die auch da mit war. Da haben wir so gelacht, weil in den kleinen Gräben so wenig Wasser war. Da drin konnte man sich gar nicht das Leben nehmen. Und der Herr Horn, der Bekannte, hat ihr dann ein paar gescheuert und sie rausgeholt aus dem Wasser. Und die sind dann gleich am achten oder neunten Mai mit dem ersten Zug, Güterzug, nach Berlin gefahren.

Die sind auch gut angekommen, denn als wir später als Vertriebene dahinkamen, da war der da und hat uns dann noch eine Wohnung im Wedding versorgt. Aber die russischen Kräfte sollten uns ja umleiten. Es sollte ja keiner mehr nach Berlin. Berlin war ja gesperrt, weil es überfüllt war. Erst mal war es total zerbombt, die letzten Angriffe waren ja wohl furchtbar. Da wollten sie keine mehr hinlassen, das hätte ja auch eine Katastrophe gegeben, wenn da alle Menschen, die mit Berlin gar nichts zu tun hatten, dahin gegangen wären. Naja, und meine Mutter hat es ja dann mit diesem Trick, das wir über das Feld gefahren sind, doch geschafft und wir haben dann doch den Weg nach Berlin gefunden. Berlin hat uns ja auch große Schwierigkeiten gemacht, aber meine Mutter konnte beweisen, dass wir da Geschäfte hatten, das wir da Steuern bezahlt haben. Ich weiß noch, wir haben vier Wochen gehungert. Und die wollten uns keine Eilanmeldung geben. Da kriegst du ja keine Brotmarken, also Lebensmittelkarten. Wir haben dann Verwandte in Mahlsdorf besucht und wir Kinder konnten da bleiben und es fuhr ja noch keine S-Bahn. Meine Mutti ist dann zweimal nach Berlin gelaufen um alles zu erledigen für uns, dass wir dableiben können. Dann hatte der für uns so eine halbzerbombte Wohnung, das war Korridor, Wohnküche und so ein ganz kleines Zimmer und nach vorn die Zimmer waren ausgebombt. Das war so eine Etage und die hatte er für uns gefunden. Und da hatte sich meine Mutti das Bein kaputt gelaufen und wäre beinahe daran gestorben. Und als wir in Mahlsdorf bei denen waren, hatten wir uns ja auch nicht zurückgemeldet, weil wir auch noch nichts zum Schreiben hatten. Jedenfalls ist mein Vater aus der Gefangenschaft Anfang Oktober durchgekommen, zu Fuß. Er wollte in Landsberg aussteigen. Und da haben ein paar Soldaten zu ihm gesagt, die auch mit waren: „Kamerad, wir haben gehört, steige du hier nicht aus. Hier gibt’s keine Deutschen mehr. Fahr bitte weiter.“ Und da ist er dann Gottseidank bis Küstrin gefahren und da hat er das gehört, dass das jetzt Polen ist, und da ist er gelaufen. Da ist er gelaufen zehn Schritte, hingefallen, zehn Schritte gelaufen, hingefallen. Er hatte seine Brottasche voll Brot. Er konnte gar nichts mehr essen. Er hatte wohl schon Typhus im Körper. Jedenfalls saß er da auf einer Bank und da sagt eine Frau zu ihm: „Na Lanzer, wo kommst du denn her?“ (Zeitzeugin weint ein bisschen) Und da sagt er, da muss ich immer heulen „Mensch, Herta, kennst du mich nicht? Ich bin dein Cousin Fritz.“ Naja, und dann hat er uns gefunden und dann kam sein Bruder aus dem Westen. Der ist unterdessen in Westdeutschland gelandet. Wo ich das mit dem Stanislaus erzählt habe, dass der jüngere Bruder sich um Mutti kümmern sollte. Der ist erst die letzten Wochen noch eingezogen worden. Der war gar nicht im Krieg. Also der war vielleicht noch zwei Monate im Krieg und dann hatte er das Glück, gleich in amerikanische Gefangenschaft zu kommen und ist dann da drüben bei Lüneburg irgendwo gelandet. Und der hat ja seine ganze Familie nachgeholt. Die wohnten auch erst in Berlin bei einer Verkäuferin, die mal früher für sie gearbeitet hatte. Denn die hatten ja die gleichen Geschäfte wie wir. Die drei Brüder haben alle das Gleiche gemacht, bloß jeder hatte in einer anderen Markthalle in Berlin diese Stände. In der Invalidenstraße 158, das ist genau neben der Ackerhalle, wohnte die Verkäuferin und da sind meine Verwandten von meinem Onkel, vom jüngsten Bruder meines Vaters, untergekommen. Und da ist mein Vater noch die Treppe hoch, denn die Cousine wusste von diesen Verwandten, nur von uns wusste sie nicht, wo wir abgeblieben sind. Und da ist er die Treppe hoch und da macht seine Mutter die Tür auf und da sagt sie: „Lanzer, es tut mir so leid. Wir haben selbst nichts.“ Das hat meinem Vater aber dann einen Schock gegeben, dass seine eigene Mutter ihn nicht erkannt hat. (Zeitzeugin weint) Naja und dann ist der Bruder vom Westen gekommen und wollte meinen Vater holen. Der hätte dann Arbeit bei ihm gehabt beim Ami. Der hat selber beim Ami gearbeitet. Mein Vater hat dann auch seine Tasche gepackt und dann ist er hin bis zur Invalidenstraße oder sie haben ihn abgeholt, das weiß ich nicht mehr. Da hat er sich verabschiedet und ist los. Und dann haben wir Nachricht bekommen, den nächsten Tag, er liege im Krankenhaus im Französischen Lazarett in der Scharnhorststraße. Die gibt es ja jetzt noch, da ist das Polizeikrankenhaus. Und da würde er jetzt liegen. Und da hat er dann gelegen und ist dann dort gestorben am 3. März.

Und dann ist ja meine Mutter aufs Land zurückgegangen. Und zwar hat sie beim Hamsterfahren – in Berlin mussten sie damals alles hamstern. Die hingen dann auf den Zügen auf dem Drückbrett und oben auf dem Dach, wenn die dann auf das Land gefahren sind, ums bei den Bauern zu hamstern. Und die Bauern konnten ja dann auch nichts mehr geben, weil ja so viele Leute kamen. Wie haben sie damals gesagt: „Den hättest‘ du nur noch einen Teppich für den Schweinestall bringen können. Dann hättest du vielleicht noch was gekriegt.“ Und dann traf meine Mutter da Flüchtlinge. Bei uns kamen ja schon wochenlang Flüchtlingstrecks vom Osten durch, von Ostpreußen und überall seit 1944 schon. Und da hatten wir mal eine Familie bei uns aufgenommen für ein paar Tage. Die hieß Familie Bruske. Die hatten drei Kinder und die hatten bei uns dann eine Weile gewohnt und sind dann weitergezogen. Und diese Familie Bruske hat meine Mutti bei Grenzlin bei Neuruppin wiedergefunden, beim Hamstern gehen. Und da haben die gesagt: „Mensch, bleiben Sie bei uns auf dem Gut. Hier können Sie arbeiten. Die Russen suchen Arbeiter.“ Die haben das Gut da bewirtschaftet in Grenzlin. Und da ist meine Mutti dann in Grenzlin geblieben. Ich konnte dann immer kommen. Ich ging ja in Berlin zur Schule. Konnte dann immer mit dem Rucksack kommen und mir was zu essen holen. Nach einiger Zeit ging das ja nicht mehr, dass wir Kinder allein blieben in Berlin. Mein Bruder hat die Schule geschwänzt. Da kam dann die Polizei und alles so was. Da sind wir dann aufs Land zurückgegangen nach Neuruppin zu meiner Mutti. Da haben wir dann in Neuruppin gewohnt in so einer Kleingartensiedlung, da hat meine Mutti so ein kleines Haus gemietet. Da haben wir dann gewohnt. Meine Mutter hat dann bei den Russen auf den Flugplatz gearbeitet und ich war ja eigentlich in dem Alter, wo ich was hätte lernen müssen. Aber zu der Zeit gab’s ja keine Lehrstellen. Ich hab dann auch mitgeholfen bei den Russen zu arbeiten. Wir haben dann auch ein bisschen Geld gekriegt. Ich musste in der Küche dann immer Schüsseln ausgeben. „Myski“ nannten sie das. Und mit den Soldaten bin ich prima zu Recht gekommen. Die haben immer gerufen: „Riska!“ Die wollten dann nicht mehr vom Soldaten die Schüssel, sondern die wollten die von Riska haben, also von mir. Und dann gab es da einen Russen, das war so ein bildhübscher Kerl, also wirklich. Der hat mir erzählt „Ich heiße Michael“ und das seine Eltern in Moskau umgekommen sind und das er auch eine deutsche Mutter hat und was weiß ich noch alles. Und wenn der in Neuruppin über den Flugplatz marschieren gegangen ist seiner Truppe und mich gesehen hat von weitem, hat er immer gerufen: „Riska, wenn du groß bist, komme und heirate ich dich!“ Das war immer so lustig.

Unterbrechung der Interviewaufnahme

Ich hab dann 43 Jahre bei der HO (Handelsorganisation in der DDR) gearbeitet. Von Neuruppin hab ich mich dann versetzen lassen von der HO. Da hat ja die DDR die erste sozialistische Stadt aufgebaut, die hieß ja dann damals Stalinstadt, hier hinter Frankfurt an der Oder. Was jetzt Eisenhüttenstadt ist. Da bin ich dann hin als Verkäuferin. Als wir dahin kamen, rannte da eine Verkäuferin hinterm‘ Ladentisch rum und hat sich bald umgebracht. So viele junge Leute und Bauarbeiter, die versorgt werden mussten. Die war richtig kopflos. Wir waren 15 Mädchen aus der ganzen Republik – so  nannte man das dann, also aus der ganzen späteren DDR – wir wurden dahin geschickt, und mussten dann aushelfen. Und wie ich dann ein paar Tage da war, musste ich eine Verkaufsstelle übernehmen, weil die Verkaufsstellenleiterin in den Westen abgehauen ist. Da war die Wohninsel, das war so ein Lager, wo die jungen Leute wohnten. Da wurden jeden Tag 150 Brote eingelagert und dann war das ja mitten in dieser flachen, sandigen Gegend. Und da rannten dann die Ratten rum in den Raum, wo das Brot lagerte. Ich hab mich vor Mäusen und Ratten ein Leben lang gefürchtet. Aber ich musste da arbeiten. Und da kamen ja in erster Linie junge Leute einkaufen. Da hab ich mit noch einer Verkäuferin die Schichten gehabt. Einmal Frühschicht, einmal Spätschicht. Und da bin ich ganz gut zurechtgekommen. Und da musste ich zum Einkauf, zum Großhandel – und da haben sie dich ja immer gefragt, was du brauchst. Muss man dann ansagen, so und so viel Mehl, so viel Zucker und alles. Und da hat dann einer gefragt: „Warum holst du so und so viel?“ Ich sagte: „Ja, was denn? Ist das Warenhaus schon eröffnet?“ Da sagte der junge Mann „Ja.“ Ich sagte: „Na, da hat man mir versprochen, da kann auch ich hin.“ „Na, sofort!“ sagt er, „Ich suche noch jemand für die Abteilung Molkereiprodukte.“ „Na sofort komme ich“ habe ich gesagt, da konnte ich endlich aus diesem Lager da weg. Die Molkereiprodukte waren dann in dem ersten festen Warenhaus in Stalinstaat – da waren dann so vier, fünf Geschäfte drin. Ganz tolle Räume waren das. Nachher mussten wir die Räume noch teilen, weil der Konsum Anspruch erhoben hat, die wollten auch Geschäfte aufmachen. Und da hat den großen Lebensmittelladen der Konsum gekriegt. Die Molkereiprodukte konnte ich behalten. Und ich musste in den Abteilungen Molkereiprodukte sogar noch Bier mitverkaufen. Da können Sie sich ja dann vorstellen, was dann abends los war, wenndie Feierabend hatten, die jungen Leute. Naja, haben wir alles überstanden. Und wenn du dann Tanzen gegangen bist am Sonntag, haben sie dich ja alle gekannt, weil sie ja bei dir das Bier gekauft hatten.

Was habe ich denn dann gemacht hinterher? Als ich von den Molkereiprodukten dann da weggegangen bin. Da haben sie mich dann wohin geholt? Jetzt ist mir der Faden verloren gegangen. Also, ich bin jedenfalls immer bei der HO geblieben.

Achso, ich hatte ja dann irgendwann geheiratet. Mein Mann hatte ich kennengelernt auf dem Tanzboden und zwar in Fürstenberg an der Oder bei Eisenhüttenstadt. Das ist jetzt eingemeindet. Da war so ein ganz toller Tanzsaal und da war Freitag, Sonnabend und Sonntag Tanz. Und da bin ich auch Tanzen gegangen. Und da habe ich meinen Mann kennengelernt. Und der war aus Oderberg.

I: Wann war das?

FRAU SCHMIDT: Das war 1952. Wir sind ’52 dahin gekommen. Ich weiß noch, ich bin ein paar Tage später 21 geworden. Und ich habe meinen Mann kennengelernt. Das war eigentlich ein ganz kesser. Der hatte mich auf 15 geschätzt. Da ging’s mal ums Schwindeln. Da hat er zu mir gesagt: „Du kannst doch gar nicht schwindeln.“ Da sag ich: „Mensch, ich hab dich am ersten Tag angelogen.“ „Wieso?“ sagt er. „Na, ich hab gesagt ich bin 18.“ Ich hab mir den so angeschaut und gesagt, na 18 ist er bestimmt schon. Ich hab mich immer so jüngere Leute kennengelernt, weil die mich so unterschätzt hatten. Und das war mir immer so furchtbar. Da kam ich mir immer wie eine Oma vor. Und da hab ich gesagt. „Na ich bin 18.“ Und er war 21. „Wieso hast du geschwindelt?“ fragt er. „Na ich bin nicht 18.“ „Siehst du, ich wusste, dass du noch nicht erwachsen bist“ sagt er. Ich sage: „Mensch, ich bin 21.“ Da hat er mich so genommen und umgedreht und gesagt. „Mensch, hast du dich gehalten“ hat er da gesagt zu mir. Und wir waren dann wieviel Jahre verheiratet, Moment, von 1954 bis jetzt, wo er gestorben ist, 2008. Er hat dann da gearbeitet im Zementwerk in Stalinstaat. Als die Firma weggegangen ist, ist er dann zu Bergmann-Borsig gegangen. Das war ja eine Berliner Firma. Und dadurch hatten wir dann unsere Wohnung in Eisenhüttenstadt. Wir haben dann geheiratet, hatten drei Jungs. Als dann die Mauer kam, 1961, waren wir gerade im Urlaub in Berlin und haben Mann und Pack genommen und sind zurück gefahren nach Eisenhüttenstadt, hieß dann schon Eisenhüttenstadt. Alle haben uns gefragt, warum wir so bekloppt waren und nicht dageblieben sind. Und wir sind zurück gefahren, unser Ralf hat gesagt: „Ich muss zur Schule, Mutti. Wir müssen nach Hause. Ich muss zur Schule.“

Ich weiß auch nicht, warum wir so blöd waren. Wie wir da in der Friedrichstraße ausgestiegen sind in der U-Bahn. Wir hätten ja durchfahren können. Da wären wir wieder im Westen gewesen. Mein Mann sagt, „Komm bleib‘!“ Ich bin ausgestiegen, alle anderen hinter mir her. Ich hatte nämlich eine Bescheinigung von der HO, dass ich Urlaub bei der Mutter in Westberlin machen durfte. Die war ja unterdessen, das hab ich gar nicht erwähnt, sie ist ja nicht zurückgekommen, sie ist ja in Berlin geblieben. Sie ist dann in Westberlin gelandet, während ich ja dann im Osten war. Wie die Mauer war, konnte meine Mutter uns ja dann nicht besuchen. Es gab immer nur Passierscheine für Berlin. Und wir wohnten in Eisenhüttenstadt. Also konnte ich nie meine Mutter sehen. Und da haben wir dann eine Verwandte gehabt namens Born. Die gab es 100.000mal bei uns im Dorf, diese Familie. Da wohnten zwei Schwestern in der Bornholmer Straße und die hat meine Mutti als Verwandte angegeben. Und da konnte sie dann einen Passierschein für Ostberlin beantragen. Und wir von Eisenhüttenstadt haben uns dann bei den Borns getroffen. Und weil mir das immer zu anstrengend war mit den Kindern, nachts dann nach Hause fahren. In Frankfurt musstest du nachts eine Stunde auf dem Bahnhof sitzen, weil die das nicht in Griff gekriegt haben – der eine fuhr weg und der andere kam an, also dass die miteinander harmoniert haben. Das ging einfach nicht. Da hab ich den Bahn Beamten mal so meine Meinung gesagt: „Seid ihr denn so bescheuert!“, hab ich zu dem gesagt. „Ha“, hat er gesagt „ich kann da nichts machen.“ Ja, ja… Und darum war mir das zu albern. Und da bin ich in Eisenhüttenstadt auf das Wohnungsamt gegangen. Das hat mir irgendjemand zugeflüstert, ich soll zum Wohnungsamt gehen. Die vom Innenministerium – ich habe mich beim Innenministerium beschwert und die haben mir gesagt: „Gehen Sie mal zum Wohnungsamt. Die haben da so ein dickes Buch und da werden Leute eingetragen, die tauschen wollen. Lassen Sie sich da eintragen. Vielleicht klappt es.“ Weil ich unbedingt dann nach Berlin zurückwollte. Aber wie denn nun, Wohnungsknappheit und alles. Na jedenfalls, bin ich dahin aufs Wohnungsamt und die hat zu mir gesagt: „Das gibt es nicht.“ Hat immer abgestritten. Ich sage: „Ich weiß, dass es das gibt. Sie brauchen nicht streiten. Vom Hörensagen weiß ich, dass sie so ein Buch haben. Und ich möchte jetzt, dass sie mich eintragen.“ Na, sie hat mich nicht in das Buch eingetragen, sie hat sich nur meine Adresse aufgeschrieben und mein Anliegen. Und nach ein paar Monaten meldete sich auf einmal jemand, dass jemand von Berlin nach Eisenhüttenstadt tauschen möchte. Das war auch ein Schmidt. Der wohnte in der Veteranenstr. 24, eine Frau und zwei Kinder. Und da hat er sich erkundigt, warum wir tauschen wollen, er hätte zwölf Wohnungen zur Auswahl in Eisenhüttenstadt. Na, da habe ich aber gezittert. Und dann kam seine Frau mit und die hat an manches rumgenörgelt. Die haben sich dann unsere Wohnung nochmal angeguckt. Und dann habe ich gesagt: „Ja wenn, dann müssen Sie sich sofort entscheiden. Mein Sohn muss zur Schule und dann können wir nicht mehr umziehen. Nochmal die Schule wechseln und so, das machen wir nicht.“ Und dann haben Sie zugesagt. Und dann sind wir am 22. September 1966 nach Berlin umgezogen. Das war toll. (Stimme erfreut, bewegt) Und dann konnte mich meine Mutti immer besuchen. Die kam dann die vier Treppen da hoch. Und wir hatten ja in Eisenhüttenstadt eine schöne Wohnung mit drei Zimmern, Küche, Bad, fließend Wasser und alles toll. Und Kaufladen gegenüber – also alles ganz toll war das da. Ich muss hinterher sagen, jetzt wo ich allein bin, in Eisenhüttenstadt habe ich die schönsten Jahre verlebt. ( Zeitzeuginweint kurz) Obwohl das so sozialistisch war. Aber ich hab mich mit der Politik nicht so befasst. Ich habe immer meine Meinung gesagt. Ich weiß auch nicht, ob ich ein Stasiakte habe. Ich habe auch nicht versucht, die mir zu holen. Wenn da was über mich drin steht, kann da nichts Positives stehen. Ich hatte immer ne‘ große Schnauze. Weiter kann da auch nichts drin stehen. Ich hab mir von denen nichts gefallen lassen und hab immer meine Meinung gesagt. Das glaubt mir heute keiner, aber das ist so. Das können Sie fragen, denn ich hab ja dann auch keine Besuchererlaubnis, kein Passierschein gekriegt. Es gab’s ja dann, dass einige reisen konnten. Da bin ich sechsmal abgelehnt worden. Da ging es meiner Mutter mal so schlecht – da haben Sie mich auch abgelehnt und da hab ich gesagt: „Wenn ich das nächste Mal hierherkomme in die Keibelstraße“, da musste man ja immer hin und sitzen, da habe ich gesagt „wenn ich das nächste Mal hierherkomme, bringe ich ne‘ Handgranate oder ne‘ Bombe mit und lass dieses Ding hier hochgehen. Hier sitzen ja keine Menschen mehr!“ Und? Die haben mir nichts getan. Ja, die wussten, ich hab keine Bombe. Und bei der HO, mein Chef, der stand eigentlich hinter mir, weil er mich geschätzt hat. Ich hatte dann in Berlin, ach, das gibt’s ja heute noch, Ecke Münzstraße, da war auf der Ecke so ein Optiker und daneben war die „Mockaperle“. Das ist jetzt alles weg. Da war jetzt so ein Grillding drin. Da hatte ich die Mockaperle – 15 Jahre als Leiterin. Da brauchte ich bloß über die Straße und dann war ich im Warenhaus, in dem großen Zentrum da am Alexanderplatz. Die ganzen Verkäuferinnen kannte ich, die kamen bei mir einkaufen. Das war ein Süsswarenladen mit Kaffee. Ich hatte noch so eine alte Zunsmühle. Die steht jetzt bei „Kaisers“ in Adlershof. Die haben die gekauft. Mein Direktor wollte die vorher schon abholen lassen zu DDR-Zeiten, die war ja schon antiquarisch. Zwei solche großen Räder von der alten Witwe Zuns, (13:55) und dann zwei solche großen Behälter aus Silber. Da konnte man wunderbar den Kaffee drin mahlen lassen. Und da kam sogar von der Margit Honecker und Honecker aus Wandlitz der Chauffeur und hat den Kaffee mahlen lassen. Der kam dann immer mit so einem Kilobeutel an, da musste ich den Kaffee mahlen. Und Weihnachten hat er uns dann immer eine Flasche Sekt gebracht und der hat uns immer die tollsten Witze erzählt. Und meine Chefin – damals war die noch Chefin, ich hab den Laden erst später übernommen – hat dann irgendwas erzählt, was sie im Westfernsehen gesehen hat. Ich sage: „Mensch, du darfst ihm doch nicht erzählen, was du im Westfernsehen gesehen hast. Guck mal hier.“ „Ach Gottchen“, da wurde er ganz verlegen, da hat er gesagt „Ach, macht nichts.“ Und dann stand er immer mit seinem Tatra da drüben auf der anderen Seite, war ja noch so eine Lücke, also eine Ruinenlücke, also ein freier Platz. Und da hat er immer seine Tatra abgestellt. Erst kam immer ein alter Herr, der ist dann in Pension gegangen, und dann hat er gesagt: „Ich stelle Ihnen jetzt meinen jungen Kollegen vor, behandeln Sie den auch gut.“ Und meine Chefin meint dann so zu ihm: „Sagen Sie mal, stimmt das, dass die Margot mit dem Honecker geschieden ist? Das die gar nicht mehr…“ Da sagt er: „Also, da kann ich nur sagen, ich sehe sie jeden Morgen aus dem Schlafzimmer beide kommen.“ Hat er dann darauf gesagt. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Aber er hat mir auf jeden Fall meine Tür nach Hause gefahren für, wo ich jetzt wohne, für meine Veranda. Mein Mann hat mir so eine tolle Veranda da angebaut. Wir haben da so ein altes Haus gebaut, das hat er ausgebaut. In Blankenburg, und dann kriegte ich keine Tür. Und es gab so wunderschöne Sprelakat-Türen. Das war wie so Plaste, kann nicht verwittern, ist nicht Holz. Und die gab’s so, die kamen 500 Mark und waren teuer, und die gab’s nicht. Und „Rüdiger und Weid“ an der Warschauer Straße, die hatten das. Und das haste‘ immer nur gekriegt, wenn du dazu kamst und gleich ein Auto hattest, um das mitzunehmen. Und da kam ich auch einmal dazu, die erste Zeit waren sie stur, aber dann wussten sie, dass ich bei der HO bin. Und die waren unterdessen auch HO geworden. Nun war ich ja eine Kollegin, dann waren sie ein bisschen netter zu mir. Und dann haben sie gesagt: „Na gut, wir können dir die Tür bis morgen aufheben, aber du musst ein Auto haben.“ Und dann bin ich so vor mich hin und hab mir gesagt: „Wo krieg ich denn ein Auto her, wo krieg ich denn ein Auto her?“ Und im Geschäft hab ich dann am nächsten Tag so eine miese Laune gehabt und dann kam dann dieser SED-Fuzzi, ich wusste damals sogar noch seinen Namen. Und da hat er gesagt: „Warum machen Sie denn so ein Gesicht? So kenn‘ ich Sie ja gar nicht.“ Ich sagte: „Ich muss überlegen, wo ich ein Auto herkriege.“ „Was wollen Sie denn mit einem Auto?“ sagt er. Ich sage, „ich muss unbedingt bei „Rüdiger und Weid“ eine Tür abholen.“ „Ja“, sagt er „kann ich doch machen.“ Ich sage „Sagen Sie mal, wollen Sie mich auf dem Arm nehmen?“ „Ja, ich hol ihnen die ab“ sagt er. „Was’n, mit dem Tatra da?“ „Ja“, sagt, er, „mit dem Tatra.“ Der hat mir die Tür abgeholt. Der hat die oben festgebunden, also Fenster aufgelassen, und dann sind wir nach Blankenburg gefahren und hat mir die Tür hingebracht. Und unterwegs sind wir von der Polizei angehalten worden. Da hat er seinen Ausweis gezeigt, war ja nun von der Regierung. Da haben die ihn ohne Weiteres fahren lassen. Sagt er: „Was denken Sie, was ich für meine Datscha“ – der hatte die in Heinersdorf – „was ich da alles geholt habe“, sagt er zu mir. Und da wollt ich ihm was bezahlen. Sagt er nein, hab ich ihn ein Pfund Westkaffee gegeben. Hat er genommen. Denn meine Mutti hatte mich ja immer gut mit Westkaffee versorgt, Ich hatte immer fünf, sechs Pfund da stehen. Ich habe selber den Kaffee verkauft. „Mocka fix“, „Rondo“, „Costa“, „Melange“ und alles. Ich habe nie Ostkaffee getrunken. Ich habe nur den aus den Westen getrunken. Und dann hab ich mir immer Sorgen gemacht, „Meine Güte, wenn meine Mutter mal stirbt. Wo kriege ich denn den vielen Kaffee her? Muss ich den dann kaufen hier im Osten?“ (lacht) Und dann kam die Einheit. Und da waren wir ja dann glücklich, dass die Mauer gefallen ist? Und das hat meine Mutter noch erlebt. Ich konnte dann die letzte Zeit schon laufend zu ihr fahren, weil sie mich bei der Polizei mit rohen Handschuhen angefasst haben. Da konnte ich jeden Sonnabend schon zu ihr fahren und sie besuchen und pflegen ein zwei Tage, weil Sie dann ein schweren Schlaganfall hatte und so. Und dann ging das alles schon.

Und dann habe ich immer richtig Angst gekriegt. Meine Güte, wenn du wirklich hier als Rentner in den Westen sollst. Ich hatte das ja durchschaut, dass im Westen gar nicht alles so goldig ist, wie sie uns das erzählten. Nicht so schlimm, wie der Osten das schlecht gemacht hat, das nicht. Aber, dass es da auch Arme gab und Leute, die keine Arbeit hatten und betteln mussten. So was kannten wir ja im Osten nicht. Bei uns saß keiner auf der Straße und hat gebettelt. War auch keiner arbeitslos. Wir hatten ja auch genug Armee. Denn wir beim Handel hatten ja dann schon fast keine Leute mehr. An manchen Tag musste ich Doppelschichten machen, weil entweder meine Verkäuferin krank war oder ich keinen mehr kriegte. Beim Handel wollte keiner mehr arbeiten. War zuviel Arbeit im Verhältnis zum heutigen Handel. Ich mein, gut, die haben dieses Ellenbogensystem, weil sie von den Firmen so getriezt werden und gemobbt. Das hatten wir nun nicht in der DDR. Aber wir mussten schwer arbeiten. Ich musste alle Kisten schleppen. Wir hatten noch keine Erleichterungen. Wir hatten noch keine Maschinen. Ich musste noch gut Kopfrechnen können. Ich musste auch mal ein paar Summen zusammenrechen können im Kopf. Wir hatten ja Kassen gehabt, wo wir nur eine Summe eintippen konnten. Und heute sind die alle so k.o., die können kein Wort mit dir sprechen. Ich war so glücklich, dass ich die Kunden noch bedienen konnte, dass ich mal mit Stammkunden einen Schlag erzählen konnte. Das man noch fragen konnte. „Na, Frau Müller, wie geht’s Ihnen denn? Ist Ihr Kind wieder gesund?“ Oder so irgendwie. Und wenn die Kinder kamen, konnte ich denen ein Bonbon geben. Da kamen später junge Leute zu mir in den anderen Laden, die „Mockaperle“ haben sie ja dann verkauft. Da kam dann ein junger Mann: „Ich möchte mich mal bedanken. Sie haben mir immer so viele Bonbons geschenkt.“ Er hat mich dann noch in dem Laden am Weinbergsweg besucht. Das fand‘ ich ja so nett. Also, die Arbeit hat mir schon viel Spaß gemacht, obwohl du ja auch viel Ärger hattest. Du musstest zu politischen Schulungen und alles. Da bin ich grundsätzlich zu spät gekommen. Da hab ich gesagt: „Na, ich hab doch noch mehr zu tun, als hier rumzusitzen.“ Und dann mussten wir am sozialistischen Wettbewerb teilnehmen. Da musstest du gut Spinnen können. Da musste man ja so ein Buch führen. Wir haben ja dann ein paarmal den Sieger gemacht. Brigade August Bebel und so was. Das musstest du in der DDR alles durchstehen. Das brauchen die ja heute alles nicht mehr. Ich mein, wir waren wirklich vom Regen in die Traufe gekommen. Heute sagen wir ja immer, wir sind vom Regen in die Jauche gekommen, denn wir waren unter Hitler niedergedrückt. Im Osten wurden wir auch nur tyrannisiert. Zum Beispiel die Kinder, in Eisenhüttenstadt gab es keine Kirchen, mein hat kein Studienplatz gekriegt und alles so was. Naja, haste alles verkraftet. Er lebt heute auch noch. Arbeitet in Tegel auf dem Flugplatz.

I: Wann sind Sie in Rente gegangen?

FRAU SCHMIDT: Ich bin, ach so, nach der Wende wurden wir, die HO, verkauft an „Kaisers“. Und zwar hat sich Bezirk Pankow für „Spar“ entschieden, für diese Kette „Spar“. Und Mitte und die anderen Bezirke sind zu „Kaisers“ gegangen. Und „Kaisers“ hat uns übernommen zu so und so viel Prozent, so dass wir „Hoffker“ hießen, die erste Zeit. Und zu mir haben die dann gesagt: „Na, Sie sind doch schon bald Rentnerin.“ Im März sind wir von „Kaisers“ übernommen wurden, 1991. Ich hab dann aber damals Unter den Linden im Haus der Schweiz gearbeitet, die Ecke da. Das ist ein Schweizer Haus. Da haben sich die Schweizer gemeldet und haben Rechtsansprüche gestellt. Da musste „Kaisers“ da raus. Da konnte ich im März schon nach Hause gehen und bin erst im August Rentner geworden. Und da meinte dieser Chef von „Kaisers“, der bei uns war: „Überlegen Sie mal, Frau Schmidt, sie werden doch noch gar nicht Rentner.“ Ich sage: „Natürlich werde ich Rentner, nun machen Sie mal halblang. Ich kann’s schon gar nicht mehr abwarten, bis ich Rentner werde.“ Ich dachte schon, unter dem Käse möchte ich gar nicht arbeiten. Da bin ich doch gegangen. Haben sie mir dann die vier Monate umsonst bezahlt. Und dann haben sie zu mir gesagt: „Frau Schmidt, kommen Sie mal nach Adlershof, ihre Kaffeemühle steht da.“ Wie ich dahin kam, hab ich sie ja gesehen. Haben sie die doch nicht irgendwelchen gierigen Sammlern überlassen, sondern mitgenommen. Das war mir wichtig, ehrlich gesagt hätte ich sie ja auch verkaufen können. Wollten Sie mir schon hundertmal abkaufen. Hat der Direktor auch getestet, mir mal Leute hingeschickt, ob ich die Mühle verkaufe. Hab ich nicht gemacht. Naja, ich war jedenfalls fünfzehn Jahre in dem Laden und es hat alles toll geklappt. -  Nee, hinterher musste ich ja noch ein paar Lebensmittelgeschäfte übernehmen, weil sie ja dann den Laden verkauft haben. Und dann war ich noch in der Scharnhorststraße genau neben dem Polizeikrankenhaus in der Verkaufsstelle, wo mein Vater gestorben ist.

Ja, nun bin ich Rentnerin. Mein Mann hat gut für mich gesorgt. In Blankenburg hatten wir uns ein altes Haus gekauft. Da hat er zehn Jahre dran gebaut. Jetzt hab ich da ein richtig schön großen Garten, ein Haus. Nun nach der Wende – meine Kinder wohnten; der mittlere Sohn in Marzahn. Das hat mir so Leid getan, dass die da in diesem Viertel wohnen mussten. Der war ja nun auch zu DDR-Zeiten ein bisschen verrufen. Obwohl die da schöne Wohnungen haben. Jedenfalls haben wir uns bemüht, dass wir an unser Haus anbauen. Da haben wir aus unserem Ein- ein Zweifamilienhaus gemacht. Hoch ausgebaut mit Dachausbau. Und jetzt wohnt mein mittlerer Sohn oben und ich unten. Und die beiden anderen Söhne wohnen in der Stadt. Mein jüngster hat unsere Wohnung da in Miete, die wir hatten. Er hat es auch dicht zum Flugplatz. Das ist für ihn sehr günstig. Die sind nicht verheiratet. Nur der mittlere ist verheiratet. Und der große wohnt in Moabit, in der Kollonenstraße. Nein, das ist Schöneberg, wo er wohnt. Ach egal, ich hab ihn noch nicht besucht. Er ist schon paarmal umgezogen. Aber er ist jetzt bei mir und beschützt meinen neuen Hund. Der ist jetzt am 15. Februar gestorben. Den hatten wir dreizehn Jahre, meine Buffy. Und das wollte ich nicht so ohne Hund, das wollte ich nicht. Und da haben wir uns jetzt aus Reinsberg, das ist bei Neuruppin dahinten, da haben wir uns – das hat irgendjemand meinen Sohn erzählt. Wir waren ja im Tierheim in Berlin. Da haben die uns den Hund, den ich haben wollte nicht verkauft. Wir hätten sagen müssen, die Jungs wollen den Hund. Aber nun hatte ich gesagt, ich will den Hund. Hat er gesagt, an alte Frauen verkauft er nicht so einen jungen Hund. Er hat im Prinzip Recht. Hinterher sag ich das jetzt. Jetzt hab ich einen jungen Hund von sieben Monaten und der bringt mich ganz schön noch in Fahrt. Aber ich finde das gut. Ich geh jeden Tag noch mit dem Gassi. Dann springt er in das Wasser. Da fließt so Wasser links und rechts. Wir haben ein riesengroßes Feld. Da gehen wir spazieren. Und dann kommen die Jungs und gehen mit ihm richtig große Runden. Das ist ein Labrador. So ein Rhodesier-Hund. Den hatten sie in Rhodesien zum Sklavenjagen, haben die Jungs aus Quatsch gesagt. (Zeitzeugin lacht) Die Mutter ist so ein großer, brauner hübscher Kerl gewesen. Und er ist so pechschwarz und lockig, mal was ganz anderes. Sie ist ja eine Sie. Sie heißt Bettina. Und da lebe ich jetzt ein ganz gutes Leben.

I: Vielen Dank. Ich würde Ihnen gerne noch ein paar Fragen stellen zu bestimmten anderen Themen und dafür in der Geschichte auch nochmal einen kleinen Sprung zurück machen. Ich hätte z.B. zu Ihrer Kindheit nochmal ein paar Fragen bzw. zu der Zeit im Krieg und nach dem Krieg.

Waren Sie einbezogen in bestimmten nationalsozialistischen Verbänden und welche Einstellung hatte ihre Familie zum Nationalsozialismus?

FRAU SCHMIDT: Also als kleines Kind nicht.

I: BDM zum Beispiel?

FRAU SCHMIDT: JM, ich war in dem Alter für die JM. Da war jeder drin. Da gab es ja dann immer so Gruppen, die jede Woche und im Monat Versammlungen hatten. Und bei uns im Dorf hätte ich ja auch hingehen müssen. Ich ging ja dann in Landsberg auf Lyzeum. Und da hab‘ ich gesagt: „Nein, ich bin in Landsberg drin. Hierher komme ich nicht.“ Und in Landsberg hab ich gesagt: „Nein, ich hab das ja bei uns im Dorf. Ich geh dahin.“ Und da bin ich dann natürlich nirgends hingegangen. Aber ich weiß nicht, den Quatsch hätte ich mir auch gar nicht angehört da. Schon wenn der Führer gesprochen hat, dann viel die Stunde aus, dann wurden die Lautsprecher angemacht. Da hab ich mir gesagt, ist der denn verrückt? Warum brüllt denn der so? Merken die Erwachsenen nicht, was das für ein Idiot ist. Das hab ich als Kind gesagt. Haben das die Deutschen nicht gemerkt, was sie sich da geholt haben. Ich kann unser Volk nicht verstehen. Also bei mir hätte der keine Chancen gehabt, tut mir Leid. So ein irrer Typ. Und dann haben sie mir mal so ein Buch von Goebbels geschenkt, irgendjemand. Der hatte ja so einen Haufen Kinder. Und der war er ja auch Jude. Und warum er die Juden umgebracht hat, das werde ich nie begreifen.

I: Und die Einstellung ihrer Familie war ähnlich bzw. die ihrer Verwandtschaft?

FRAU SCHMIDT: Naja, das die alle so ein bisschen in der Partei waren – mein Vater war ja auch in der NSDAP, aber da ging es ja nur darum, dass du in den Geschäften nicht behindert wurdest. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, das war auch noch bei Honecker so, was die für Dinger mit den Menschen gemacht haben, die nicht so wollten wie sie sollten. Und mein Vater wollte keine Nachteile für seine Familie. Und da hat er gesagt: „Jaja, machen wir.“ Aber ich habe ihn nie in Uniform gesehen. Nun war mein Vater aus Leib und Seele Jäger. Sein ältester Bruder, von der Helga der Vater, der auch, die hatten jeder eine Jacht gepachtet. Mein Vater auch. Und wir hatten einen ganz tollen Hund zu Hause. Terry hieß der, der war so was von toll. Der hätte die Rebhühner gefangen, da hätte Papa gar nicht schießen brauchen. So ein toller Hund. Und mein Vater, wenn der dann von Überland kam, da ist er manchmal in Holzpantinen losgegangen mit Gewehr. Und dann hat er gesagt: „Mach ja nicht den Hund los, der zerstört mir die Fährte.“ Aber Terry hat sich ja nicht halten lassen. Fünf Minuten später war er auch weg. Meine Mutter konnte es gar nicht mit ansehen. Und dann kam er nach einer Weile wieder, hatte er einen Fuchs geschossen. Und beim Schützenfest, – bei uns gab‘s ja auch einen Sportplatz, der ist jetzt zugewachsen, habe ich festgestellt – da haben wir dann immer Feste gefeiert, da hat mein Vater immer den Schützenkönig gemacht. Der konnte schießen. Und das war auch sein Unglück, dass sie ihn im Krieg sofort genommen haben. Er ist am ersten Tag eingezogen wurden. Sein Auto, sein Pferd und er. Am ersten September.

I: Haben Sie den Krieg zu Hause miterlebt bzw. was hat sich verändert als der Krieg begann?

FRAU SCHMIDT: Es waren ja nicht mehr so viele Männer da. Der Bäcker musste ja dann für mehrere Orte backen. Unser Bäcker war reklamiert und es fanden keine Veranstaltungen mehr statt. Die beiden Säle waren geschlossen. Also es war schon trist traurig in unserem Dorf. Klar, uns Kinder haben sie uns das nicht so spüren lassen. Aber du hast dann keine Bonbons mehr gekriegt und Schokolade war auch ganz selten. Wir haben es schon gespürt, möchte ich sagen. Und so wild rumgetobt haben wir dann auch nicht mehr. Wir waren ja dann alle so acht, neun, zehn. Da ist einem der Spaß dann vergangen. Wenn dann die Sondermeldungen kamen, dann hast du immer so gezittert. Dann war mein Vater mal vermisst. Oh Gott, dann kam die Pfarrersfrau jeden Abend und dann haben sie gebetet und geweint. (traurig erzählend) Nein, also das war nicht schön im Krieg. Naja, ich war ja dann in Landsberg in der Pension bei meiner Cousine die ersten anderthalb Jahre. Aber die hat mich so tyrannisiert, die war dann schon kurz vor dem Abitur, hat dann schon bald ihre Prüfungen abgeben müssen. Für die musste ich immer so viel erledigen. Dann gab es nicht mehr genügend Schulbücher, dann gab sie mir ihre Schulbücher und ich musste so und so viel für sie abschreiben. Habe ich gesagt: „Nun höre mal auf, ich muss auch noch Mathearbeit machen. Ich hab noch das und das.“ „Na ich helfe dir nachher.“ Ja, Pustekuchen. Sie hat mir nicht mehr geholfen dann. Musste ich alles allein machen. Und dann habe ich gesagt, eines schönen Tages bin ich einfach nicht mehr hingefahren: „Mutti, ich bleib jetzt zu Hause. Ich fahre jeden Tag von hier.“ Und dann bin ich jeden Tag mit der Bahn gefahren. Die Mädchen haben gesagt: „Bist du blöd, dass du bei deiner blöden Cousine bleibst. Mensch, hier ist es so interessant. Wir spielen Bahn, Stadt und Land. Das ist so, so schön. Und hinterher gehen wir in den Warthesaal. Da können wir was essen, bevor der Zug fährt.“ Und da haben sie mir so viel vorgeschwärmt. Da habe ich gesagt: „Also, tut mir leid, ich bleibe nicht mehr bei meiner Tante. Und bei Inge auch nicht mehr.“ Die hatte einen Hund. Meine Mutter hatte zwei Meter Holz hinfahren lassen nach Landsberg, damit ich da im Winter nicht friere. Wer durfte am Ofen sitzen? Der Trolly, nicht ich. Wenn ich mich da auf die Bank gesetzt habe, sofort kam der Hund und wollte darauf. Alles so Kindererlebnisse, was? (Zeitzeugin lacht) Ich bin dann lieber jeden Tag gefahren, obwohl ich mich ja ein bisschen gefürchtet habe, durch den Wald morgens. Aber bei uns liefen ja die Franzosen, die Gefangenen frei rum. Die Polen liefen frei rum. Die wurden nicht eingesperrt.

I: Das waren Zwangsarbeiter?

FRAU SCHMIDT: Ja, die konnten frei rumlaufen. Denen hat keiner was getan. Aber dann war ja ein Russenlager da. Und da haben sie ja dann eine große Baracke gebaut und einen großen Zaun. Und da hatte ich eigentlich nie jemanden gesehen. Darum habe ich da so gestaunt, dass das auch Menschen sind.

I: Bestand Kontakt zu den Zwangsarbeitern?

FRAU SCHMIDT: Zu den Polen, natürlich haben wir uns mit denen unterhalten. Uns Kindern haben die uns doch nichts gemacht. Zum Beispiel kam der Franzose, der Martin, immer vorbei. Der ging zu Plauerts. Die hatten so ein Haus, das war vergittert. Da haben die Franzosen drinnen gelebt. Aber das wurde nie abgeschlossen. Wozu da Gitter dran waren, haben wir überhaupt nicht gewusst. Der kam dann jeden Tag abends vorbei, wenn er nach Hause ging. Und der hat ja da noch Pakete aus Frankreich kriegen dürfen. Er hatte dann immer Schokolade, die er uns geschenkt hat. Du hättest da ja nichts annehmen dürfen, aber das hat uns nicht gestört. Klar habe ich dem die Schokolade abgenommen, wenn er sie mir geschenkt hat. Obwohl ich früher als Kind gar keine Schokolade gegessen habe. Ich wollte immer nur saure Bonbons, aber dann wollte ich auch Schokolade. Also, die Kindheit im Krieg haben wir sehr gemerkt, doch. Das war ja auch die Stimmung bei den Menschen. Irgendjemand hatte eine schlechte Nachricht gekriegt, dass jemand gefallen war. Und dann ist mein Vater mal gekommen, der war dann verwundet. Der lag dann in Fietz. Da bin ich jeden Tag ins Lazarett gefahren nach Fietz. Als ich jetzt da war in Fietz, ich hab das Lazarett nicht mehr gefunden. Den Raum nicht mehr, wo mein Vater damals gelegen hat. Das ist alles so anders jetzt. Und vor allen Dingen, ich habe auch nicht mehr die Straße erkannt, die links und rechts mit den Bäumen. Naja, ist klar. Die waren so groß und eng gewachsen, dass ich sie nicht mehr erkannt habe, die Straße, als uns 1969 der Bekannte das erste Mal nach Pyhrene gefahren hat. Da sollte ich ihm nun alles sagen. Aber ich habe die Windmühle noch gesehen. Und da habe ich gesagt: „Bernhard, wir sind richtig. Da steht die Windmühle noch.“ Da stand so eine alte Windmühle auf dem Feld. Und auf diesem Riesenfeld haben ja dann die Russen diesen provisorischen Flugplatz gebaut. Und da wächst ja jetzt ein Wald, hab ich gesehen. Da ist links schon ein richtig großer Wald.

I: Die nächste Frage, die ich hätte, betrifft nochmal den Prozess der Vertreibung. Als Sie von der polnischen Armee letztendlich vertrieben wurden. Wie sahen da genau die Umstände aus? Was konnten Sie behalten?

FRAU SCHMIDT: Da sind ja wohl schon Polen im Dorf gewesen. Meine Mutti war mal im Dorf, wir waren ja dann drüben in Kleinheide und haben da noch gearbeitet bis zum achten Mai. Und da wusste meine Mutti – die war mal nach Hause gegangen wegen irgendwas -  und da hatte sie den Bürgermeister und Polen gesehen. Aber ich hatte noch keine gesehen. Ich habe die ersten Polen gesehen, diese Besoffenen, die auf dem Leiterwagen angefahren kamen und uns rausgeschmissen kamen.

I: Erzählen Sie ruhig nochmal.

FRAU SCHMIDT: Die kamen auf einen Leiterwagen angefahren, so einem Heuwagen, womit man früher Heu abgefahren hat. Und der eine, der saß und der andere stand und hat die Pferde immer so mit der Peitsche gejagt. Man hat gemerkt, dass die beiden total betrunken waren. Und dann haben die angehalten vom Hof und dann ist der eine runtergesprungen vom Wagen und kam auf dem Hof gerannt, und weil wir – das Haus stand ja vorne, und weil wir hinten in der Waschküche gewohnt haben, vorne wohnten vier Piloten, da kam der auf den Hof gerannt, das wusste er wahrscheinlich nicht und hat dann nur geschrien: „Ihr deutschen Schweine! In zehn Minuten raus.“ Das hat er gesagt. Und hat die Peitsche immer geschwungen. Und wir sind dann ja gleich rückwärts mehr so in das Haus rein und da kamen dann die Soldaten raus und der hat die MP gezogen und hat nur „Ide“ gesagt zu dem und dann ist der gegangen. Dann sind sie weitergefahren und da hat er noch gerufen: um 18 Uhr da und da. Ja, und da sind wir da hingefahren um 18 Uhr. Und das war nur noch ganz kurz. Wir konnten gar nicht mehr viel zusammensuchen. Also ich bin losgefahren in Trainingshosen und in Gummistiefeln, weil das ja gerade so eine nasse Zeit war. Und als wir da losfuhren in Pyhrene fing es an zu regnen. Und ich kann mich nur an Regen erinnern die ganze Zeit. Furchtbar und dann keine vernünftigen Sachen dabei. So, wie ich in Berlin dann einzog, die Bernauer Straße durch, die geht, ja so ein bisschen abwärts. Und unser Karren, den musstest du dann so halten, der ist immer so hochgekippt. Da rutschte mir immer die Trainingshose, weil die so nass war. Dann konnte ich die immer bloß so halten. So sind wir in Berlin eingezogen. (Zeitzeugin lacht ein wenig) Aber das hat mich alles nicht gestört. Viel schlimmer waren links und rechts die Trümmer. Das hat mich geschockt.

I: Wie sind sie aufgebrochen von Pyhrene. Wie sah das aus, der Weg Richtung Westen? 

FRAU SCHMIDT: Naja, wir sind jeden Tag ein Stück mit dem Handwagen gezogen. Also, ich muss sagen, die erste Nacht sind wir weit gekommen. Da sind wir von Pyhrene bis nach Küstrin gekommen. Und in Küstrin war ja dann der Platzregen so stark, da sind wir unter so einem Unterstand, einem Blechdach, haben wir drei dann geschlafen. Meine Mutter hatte ja auch zum Zudecken weiter nichts mit, wie gerade so ein Stück Pelz. Da hatte Sie mit einem Russen drum gekämpft. Die waren in unseren Keller eingedrungen und da hatte sie ein großes Stück Pelz, so Nerzfell. Da wollte sie sich einen Pelzmantel daraus machen lassen. Und da hat sie gezogen und die Russen haben gezogen. Meine Mutti hatte den größten Teil gekriegt. Und das haben wir mitgenommen und damit haben wir uns dann zugedeckt alle drei. Dann sind wir weitergezogen, in Seelow stand eine Gulaschkanone, eine russische. Da haben wir das erste Mal was zu essen gekriegt. Und dann haben wir unterwegs nichts mehr zu essen gekriegt. Irgendwo haben wir nochmal Halt gemacht, das muss ein ganzes Stück hinter Seelow gewesen sein. Da hat irgendeiner Kartoffelpuffer gebacken auf so einen Rost. Da habe ich auch einen abgekriegt. Und meine Mutter hatte, obwohl sie die Kanne mit Sirup hatte stehen lassen, so ein kleines Glas Sirup dabei. Da hatten wir für alle Sirup auf den Kartoffelplinzen. Das weiß ich noch. Ja, und dann, weiß ich nicht, dann sind wir die Straße langsam weiter gezogen. Du warst ja dann schon so abgestumpft, weil du das Elend links und rechts ja gesehen hast. Überall Leute, die gerade vor dir vorbeikamen, haben hinterher am Straßenrand gelegen und waren tot. Das war furchtbar. Und meine Mutter wusste nun auch gar nicht mehr die Adresse von Mahlsdorf, so wie wir dann in Berlin waren.  

I: Wie lang waren Sie unterwegs ungefähr?

FRAU SCHMIDT: Also ich weiß, wir sind erst am 22. oder 27. Juni los und waren erst Ende Juli da. So lange haben wir unterwegs campiert. Also Ende Juli waren wir da. Ich weiß noch, meinen Geburtstag konnten wir gar nicht feiern. Da hat gar keiner dran gedacht, weil ich ja dann am zweiten August Geburtstag gehabt hätte. Wir haben ja in der Gerichtsstraße da diese Wohnung gekriegt. Wir waren ja in Mahlsdorf schon ein bisschen eher, weil meine Mutter zweimal nach Berlin gelaufen war zu diesem Halbjuden, Herrn Horn, der uns dann diese Wohnung besorgt hat. So, dass wir dahin konnten.

Ich weiß noch, die Hauswirtin hat mir zu meiner Einsegnung ein paar Schuhe geschenkt. Ich hatte ja dann auch schon einen Bezugsschein beantragt, aber der ist nicht durchgekommen, vor meiner Einsegnung; kriegte ich ja nichts. Wissen Sie, wo ich eingesegnet bin? Im Dom. Und zwar bin ich zu dem Pfarrer gegangen in der Reinickendorfer Straße, das war die Dankesgemeinde. Da wohnte ein Pfarrer, Hesselbarth, glaube ich. Ich weiß es nicht mehr genau. Und bei dem hatte ich dann diesen Unterricht für die Einsegnung. Und unsere Einsegnung war dann die Feier in der Gruftkirche im Dom, weil ja der Dom zerstört war. Aber die Gruftkirche ging. Und ich weiß, das war eigentlich ein ganz feierlicher Akt. Und das war im März, 14 Jahre muss ich da gewesen sein. Kurz nachdem mein Vater gestorben ist. Da bin ich da eingesegnet worden im Dom. Da bin ich stolz drauf. Und dann hat der auch noch falsch geschrieben: „geboren in Berlin.“ Das Ding habe ich immer noch. Das steht immer noch so da.

Und meine Mutter hat dann diese Wohnung gekriegt in der Gerichtsstraße. Da sind wir immer nach Buch gefahren. Wir sind ja immer nach Buch gefahren. Wir hatten ja kein Holz und nichts. Gab ja kein Strom und nichts, wir mussten ja kochen irgendwie. Da hat uns jemand so einen kleinen Bollerwagen mit Metallrädern gegeben, dann sind wir nach Buch gefahren und haben Holz geklaut. Also Holz gesammelt. Aber wir haben manchmal auch große Stücke genommen. … Jetzt habe ich den Pfaden verloren.

I: Was mich interessieren würde wäre, ob sie sich dann nichtsdestotrotz identifizieren konnten mit einer neuen Heimat? In Berlin oder auch in Eisenhüttenstadt?

FRAU SCHMIDT: Nein, also… Heimat. (Zeitzeugin weint kurz) Wir haben uns arrangiert. Ich habe mich jedenfalls eher reingefunden als meine Mutter. Meine Mutter hat es nie überwunden. Ich war ja nun erst 14 Jahre, da habe ich das schon eher verkraftet. Nachdem ich eine Familie hatte, klar war das mein Zuhause mit den drei Bengels. Und sogar die Polizei hat immer gesagt, wenn ich Anträge gestellt habe zur Reise nach Westberlin, „Ihre drei Jungs alle ok.“ Die haben dich ja ausgefragt bis aufs Hemd, wenn du einen Antrag gestellt hast. Bis zum letzten Mal vor der Reise hat er gesagt: „Frau Schmidt, nun weiß ich ja gar nicht mehr, was ich Sie fragen soll.“ Ich sage: „Nein, wenn ich sehe, die dicke Akte, die sie da von mir haben, da wissen Sie ja mehr von mir als ich selbst.“ Und da hat er dann auch nichts mehr gefragt.

I: Hatten Sie Hoffnung auf Rückkehr?

FRAU SCHMIDT: Nein, das glaube ich nicht. Hatte ich nicht. Neulich hat mich ein bekannter hingefahren, vor anderthalb Jahren, wie ich da mit der Stadtmission in Kienitz so eine Rüste mitgemacht habe. Und da hat er dann Sonntagnachmittag gesagt: „Frau Schmidt, jetzt fahre ich Sie in Ihre Heimat.“ Ich hatte da in Gemeinde schon immer so viel von meinem Dorf erzählt.“ Und da hat er gesagt, jetzt fahre ich Sie in Ihre Heimat. Und da war er beeindruckt von unserem Dorf. Hat er gesagt: „Das ist wirklich ein schönes Dorf.“ Sagte er: „Ich bin ja nun aus dem Spreewald. Aber wenn du da in manche Dörfer jetzt kommst, die sehen ja viel schlimmer aus.“ Also, die haben die Menschen ja auch verlassen, jetzt nach der Wende. Ihre Orte, nicht? Und unser Dorf haben sie ja jetzt wirklich aufpoliert, muss ich sagen. Also das letzte Mal. Dann wie wir 2002 da waren, oder 2001, da hatten wir überall neue Zäune gesetzt und alles. Nein, die haben das schon schön in Ordnung gehalten. Da hat dann dieser Bekannte zu mir gesagt neulich – wir standen vor unserem Haus, man hat ja gesehen, es ist nicht mehr bewohnt, es ist keiner da. Es liefen keine Hühner mehr auf dem Hof rum. Und der Hof war auch nicht mehr gemäht, das Gras war höher. Und da hat er gesagt: „Sehen Sie, Frau Schmidt, nun können Sie es wiederhaben, wenn Sie wollen.“ Ich sage: „Nee, was soll ich denn jetzt hier? Nicht nur dieses Haus macht es aus, die Menschen, die hier ringsum gewohnt haben. Die sind alle fremd. Sind alle weg. Jetzt möchte ich hier nicht mehr hin.“ (Zeitzeugin weint) Und keiner, glaub ich, von uns aus dem Dorf geht keiner mehr dahin. Nein, glaube ich nicht. Das kann man auch diesen Menschen gar nicht mehr antun. Das wäre ja dann dasselbe, was sie mit uns gemacht haben. Denn die leben ja schon jetzt viel länger da, wie wir jemals gelebt haben. Also, mein Alter jedenfalls. Meine Vorfahren haben da ja sicher schon länger gelebt. Denn neben unseren Hof wohnten ja die Eltern von meiner Mutti. Der Vater, die Mutter, der Bruder mit seiner Frau und den Kindern. Und wie ich einmal da war zu Besuch, sagt der Pole zu mir, da würde noch der Schlitten stehen. Ich sage: „Ja, mit diesem Schlitten hat uns Opa im Winter immer gefahren, diesem Pferdeschlitten.“

I: Waren Sie in der Zeit nach der Vertreibung aktiv in irgendwelchen Heimat- oder Vertriebenenverbänden?

FRAU SCHMIDT: Da gibt es ja nun unseren Heimatverband, der in der Streßemannstraße. Wo ich die Märkische Zeitung herkriege. Da werden wir informiert und eingeladen. Die haben ja mit den Polen Kontakt und so. Aber richtig, nein. Wir wurden nur ab und zu mal eingeladen. Und da bin ich dann öfters mal hingegangen. Aber jetzt schon die letzten Jahre gar nicht mehr, weil fast keine Pyhrener mehr da waren. Und da weiß ich gar nicht, die fremden Leute sagen mir ja dann gar nichts. Da bin ich dann gar nicht mehr hingegangen. Ich hab nur die Zeitung noch, die kriege ich. Und dann zweimal im Jahr kriege ich dieses „Fietzer“, dieses dicke  mit den ganzen Namen, den Verstorbenen und Umgezogenen. Und was so in Fietz passiert ist, in Landsberg passiert ist. Klar, es stehen in unserer Heimatzeitung auch so manche Sachen, die sie jetzt erst aufdecken. Aber unser Heimatverband hat sich ja nicht auf Rachegelüste gestürzt, sondern auf Verständigung. Also, nicht das wir einen Hass gegen die Polen haben. Nein, nein. In so was würde ich auch gar nicht reingehen.

I: In wie fern sind Sie persönlich mit dem Schicksal der Polen vertraut, die dann auch nach 1945 im Laufe der Ereignisse nach Pyhrene kamen?

FRAU SCHMIDT: Naja, die habe ich ja getroffen. Die alten Leute, die da gewohnt haben. Die alte Oma hat mich ja gleich umarmt und hat geweint. Und unser Bekannter, der mit war, der hat ja dann gleich übersetzt. Der sprach polnisch. Und da hat sie ihm erzählt, sie haben sich schon immer gewundert, warum keiner gekommen ist und sich niemand gekümmert hat.“ Da haben wir ihr erklärt, dass das ja gar nicht ging. Und das wir jetzt praktisch die ersten sind. Und dann hat sie uns erzählt, wie sie rausgetrieben wurden. Die durften zehn Kilo Gepäck mitnehmen und mussten auch ganz schnell ihren Ort verlassen. Die Frau hat auch noch sehr an Ihrer Heimat gehangen, die wäre auch noch sofort wieder zurückgegangen. Ja, also, wir waren ja nun alle schon durch diesen ganzen Krieg so erschlagen. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das jemand eingebildet hat, dass wir zurück können. Die Polen hatten Angst. Ja, das hast du richtig gemerkt. Die hatten öfter Angst, weil das noch ungeklärt war, dass wir Deutschen wieder zurückkommen. Aber, wir haben denen nicht den Eindruck vermittelt. Wir haben uns nur so gewundert, dass die sich so um gar nichts gekümmert haben. Auf unserem Grundstück war eine Wasserleitung. Die Pumpe stand damals noch, aber wie ich jetzt da war, hab‘ ich keine Pumpe mehr gesehen. Ob sie die Wasserleitung wieder in Schwung gebracht haben, ich weiß es nicht. Also, mein Mann, der ist ja nun so ein richtiger Handwerker gewesen. Der wollte gleich noch in den Keller gehen und denen zeigen, dass da ein Motor ist und wie man den anspringen muss. Weil du da ja kein Wasser gehabt hast, so dass du das aus der Erde holen musstest mit so einer Pumpe. Und das die dann immer anspringt, wenn wir zum Beispiel Wasserschlachten gemacht haben im Sommer, dann hast du immer nur den Motor unten im Keller anspringen hören, weil wir dann zu viel Wasser gebraucht haben. Und Mutti hat ja dann geschimpft wegen dem Wasser. Hat ja insofern nichts gekostet. Aber sie war wahrscheinlich schon umweltbewusst, was weiß ich. Wenn die dann vom Feld kam und gesehen hat, dass der ganze Hof nass ist, dann haben wir manchmal, nicht gerade Dresche gekriegt, aber Schimpfe, ganz schön. Aber das hat uns dann so ein Spaß gemacht. Zum Beispiel in der Scheune, vom Fass oben springen. Mit der Leiter hoch, dann von der Seite in die Mitte rüber. Und dann auf die andere Seite runterspringen. Das war doch so toll. (Zeitzeugin lacht) Das sollten wir alles nicht. Weil ja dadurch Brände entstehen können, wenn das Heu so toll… naja, Kinder hören ja schon gar nicht.

I: Mich würde noch interessieren, wie Sie ihren Blick auf Polen heute beschreiben würden. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Polen?

FRAU SCHMIDT: Naja, das ist schon manchmal ein ganz schön gehässiges Gefühl bei mir, weil ich immer denke, dieses wunderschöne Land. Wenn sie dann so berichten, in Filmen und so, was wir so für Natur hatten und alles. Wenn ich so die Warthe sehe und alles, dann denke ich immer, Mensch, ist das gemein, dass die blöden deutschen Politiker unser schönes Land verschenkt haben. Und darum habe ich auch gestern erzählt, die vom Rhein, die wussten gar nicht, wo die Oder ist. Die kannten Ostdeutschland gar nicht. Das war denen so scheißegal, ob das weggeht oder nicht. Und da bin ich so richtig ein bisschen mehr wütend auf die Wessis, als auf die Polen, die dahin sind. Die können ja nichts dafür, die dahin sind. Da kannst du nur den Regierenden die Vorwürfe machen. Und mit diesem Vertrag, da haben die Russen die Amis übers Knie gelegt, also verschaukelt. Die blöden Amis haben sich verschaukeln lassen

I: Bei der Westverschiebung der Grenzen von Polen?

FRAU SCHMIDT: Ja, die haben gar nicht gewusst, was eine Grenze ist. Die kannten nur solche Larifari-Grenzen, wie in Amerika. Aber die haben nicht gewusst, was für harte Grenzen das sind. Und Kohl hätte das vielleicht noch ein bisschen abändern können, aber der war ja auch ein Scheißer vom Rhein. Meine Mutter hat immer gesagt: „Der Kohl ist ein guter Mensch.“ Naja, die war aus dem Westen. Ich habe gesagt: „Was, dieser Idiot? Den findest du gut? Na, höre auf, man!“ Aber was willst du auch zur SPD sagen? Wer hat uns verraten? Die Sozialdemokraten. Die haben uns beim ersten Weltkrieg verraten, die haben uns bei Hitler verraten, und jetzt haben sie Hartz-4 eingeführt, also haben sie wieder Deutschland verraten. Und jetzt sind sie an nichts schuld und wollen wieder an die Regierung. Da kannst du doch sauer werden.

I: Wo sehen Sie ihre Heimat jetzt?

FRAU SCHMIDT: Jetzt sehe ich meine Heimat in Blankenburg. Also, das habe ich gemerkt, als ich hätte entscheiden müssen, in den Westen zu gehen. Nein, da wollte ich so gern wieder nach Blankenburg. Also, ich wäre da dann nicht geblieben.

I: Also verbinden Sie mit dem Begriff Heimat auch nicht mehr Pyhrene?

FRAU SCHMIDT: Nein. Also, das sind meine Wurzeln. Also, da bin ich her. Aber meine Heimat? Die Heimat gehört jetzt anderen Leuten. Also, da kann ich nun nicht mehr drauf pochen.

I: In wieweit können Sie einschätzen, welche Rolle die Vertreibung, dieser Prozess 1945, in Ihrem Leben gespielt hat?

FRAU SCHMIDT: Naja, das hat uns vollkommen alle aus der Bahn gebracht. Denn ich wollte ja dann eigentlich auch mal studieren, wollte Kinderärztin werden. Oder, wenn ich das nicht geschafft hätte, wenigstens Apothekerin. Was bin ich geworden? Eine kleine Verkäuferin. Also, wir waren schon alle in unserer Entwicklung ganz schön gehemmt. Und auch Familien zerrissen, die sich früher gemocht haben. Die sind dann so auseinandergerissen wurden. Die haben sich dann nicht mehr wiedergefunden. Das war schon ein ganz schöner Schlag für jeden, würde ich sagen.

I: Diese Flucht hatte also viele Auswirkungen?

FRAU SCHMIDT: Ja, sehr viele Auswirkungen. Indem du nackt und bloß da standest. Dann kein Dach mehr über den Kopf, du hattest ja keine Zukunft mehr. Keiner wollte dich haben, kein Land. Also, ein Glück, dass du nicht so viel zum Denken kommen konntest, weil du dich ja um dein Weiterleben bemühen musstest. Wie du was zu essen kriegst, was zu trinken, ein Dach über den Kopf. Und da kamst du ja nicht so zum Nachdenken.

Ich wollte ja dann immer nach Australien auswandern. Und dann hab ich auch einen Anfang unternommen. Bin nach Tempelhof gefahren. In den Jahren bis 1961 ging das ja noch. Also bin ich nach Tempelhof gefahren und wollte die australische Botschaft aufsuchen. Und dann haben wir so einen Stummpolizisten gefragt – wie man in der DDR immer gesagt hat, das sind die Stummpolizisten – der soll uns sagen, wo die australische Botschaft, ist mit meiner Freundin. „Na, Mädchen, was wollt ihr denn bei der australischen Botschaft?“ Da haben wir gesagt: „Wir möchten uns erkundigen, wir möchten gerne auswandern.“ Und dann hat er uns das abgeredet: „Deutschland ist doch so schön. Deutschland braucht junge Leute. Ihr werdet doch nicht ins Ausland gehen.“ Das sind wir beide wieder nach Hause gefahren.

I: Ich hätte jetzt gar keine weiteren Fragen, unbedingt. Vielleicht wollen Sie noch irgendwas zusätzlich sagen?

FRAU SCHMIDT: Mir fällt jetzt auch gar nichts mehr ein. – Was, was meine Helga immer noch gesagt hat, dass sie das nicht verstanden hat, dass Russen und Polen sich nicht vertragen. Das haben wir auch wirklich nicht gewusst. Die wurden uns immer als Freunde dargestellt, die Russen und auch die Polen. Und ich hab das bei uns in Pyhrene festgestellt, sowie die ersten Polen dann da waren und Russen. Also, wenn ein Russe uns was tun wollte, dann haben wir gebrüllt. Dann haben uns die Polen geholfen. Wollten uns die Polen was tun, kamen uns die Russen zu Hilfe. Also wir Deutschen waren da so einige Monate die lachenden Dritten, wir Niedergeschlagenen. So habe ich das damals empfunden.

I: So konnten Sie sich dann auch das Schicksal der Polen erklären, welches sie erleidet haben?

FRAU SCHMIDT: Die Polen haben genauso viel Leid getragen. Bloß, das wussten wir ja damals nicht. Du hattest einen Kroll auf die, wenn ich ehrlich sein soll. Aber das hat uns ja keiner erzählt, dass die aus der Ukraine vertrieben wurden, genauso wie wir. Das habe ich ja dann erst von der alten Frau erfahren, als wir da waren. Und seitdem habe ich ja auch ein ganz anderes Sichtfeld darauf. Und ich weiß noch, das war ja auch furchtbar, wenn ich mich jetzt so erinnere, wie die Russen kamen. Meine Schulfreundin von 13 Jahren, die Kaufmannstochter, die wurde gleich von drei Russen vergewaltigt. Die sah schon so erwachsen aus, und dabei war die erst 13 Jahre. Die hat ja nie im Leben geheiratet. Die wohnte ja jetzt in Heilbronn. Und dieser Walter Born hat uns ja noch immer berichtet. Wir hatten ja immer noch den Zusammenhalt zwischen den Pyhrenern und er hat uns jedes Jahr so einen Bericht über einiger Pyhrener geschickt. Da habe ich auch noch einige Bögen zu Hause. Die hat er ja meiner Mutter geschickt. Und meine Mutti hat die auch mal in Heilbronn besucht. Aber die sind ja alle schon tot. Die Dorchen ist nicht mal 60 geworden, die von den Russen so vergewaltigt wurde. Die hat auch nie geheiratet. Und ihre große Schwester, die Mariechen, die hatte dann zur DDR-Zeit ein Verhältnis mit unserem FDJ-Führer in Eisenhüttenstadt. Da war ich perplex, dass die sich kannten. Aber die sind ja dann in den Westen. Die haben erst in der Bornholmer Straße gewohnt. Da hatten sie Verwandte. Das ist alles ein Kikifax. Die ganze Welt ist nur ein Idiotiensaal oder so was ähnliches.

I: Was empfinden Sie heute gegenüber Russen, gerade bei den Verbrechen, die da sattgefunden haben?

FRAU SCHMIDT: Naja, ich hab ja nun gehört, was die deutschen Soldaten in Russland gemacht haben. Und es sind ja nun mal Männer gewesen. Was soll ich denn dazu nun sagen? Als Kind habe ich es nicht verstanden, aber jetzt… Da werden sich einige gerächt haben. Kann ich vollkommen verstehen. Obwohl in der Bibel steht: „Rache ist mein.“ Aber daran hält sich ja keiner. Und das die Russen das nun gemacht haben, ich hab ja gehört, die Deutschen haben so was auch gemacht. Die waren ja nun kein Punkt besser. Die haben ja wohl erst angefangen damit. Denn ich weiß, dass die russischen Menschen sehr, sehr gute Menschen sind. Die schätze ich noch höher ein als die Polen. Ja, wir haben ja nun ein paar Monate unter denen gelebt. Und ich weiß, dass das sehr mitfühlende, hilfsbereite Menschen sind. Und ich habe mal zu einer Bekannten von mir gesagt, - und ich habe vergessen, dass die eine Oma in Amerika hat – „jeder Russe ist mir tausendmal lieber als ein Ami“. Da war sie beleidigt. Und ich sagte: „Du kannst doch gar kein Urteil abgeben. Du hast noch nicht gelebt. Du kennst doch gar keine Russen. Ich habe nur nette Russen kennen gelernt.“ Gut, wenn andere Leute das anders erlebt haben, ist das ihr Problem. Aber ich weiß nur, dass der russische Mensch im Prinzip ein guter Mensch ist und nicht wie uns Hitler den dargestellt hat als Bestie, und was weiß ich, was das noch alles sein sollte. Da hatten sie ja in Berlin zu Kriegszeiten ein Zelt aufgestellt: „Hier sehen Sie das Sowjetparadies.“ Da wollte ich ja als Kind unbedingt rein. Da hat unser Bekannter gesagt: „Nein, da lasse ich dich nicht rein.“ Der war überall in den Museen mit mir, aber „da lass ich dich nicht rein“ hat er gesagt. Ich hab das damals nicht begriffen, aber dann wusste ich warum. Wer weiß, was Hitler da aufgebaut hatte.

Mein Vater hat auch erzählt, wie sie in Russland reinkamen, dass die Backöfen noch warm waren und die Kinder und die Kinder oben auf dem Backofen geschlafen haben. Die haben nicht damit gerechnet, dass die Deutschen kommen.

In Wirklichkeit ist es nur, was für Teufel da oben dran sitzen und sich ausbrüten über die Menschen. Und die blöden Menschen folgen dem immer. Ein Glück, die können uns heute nichts mehr über andere Menschen erzählen. Unsere Merkel kann uns heute nichts mehr über andere Menschen erzählen. Die sagen immer, die „Ostdrude“. Die ist ja gar nicht aus dem Osten, die ist im Westen geboren. Nur die Eltern sind rübergegangen und die hat ja dann im Osten studiert, ihr Studium dann hier im Osten gemacht.

I: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Die Handelsorganisation (HO) war das staatliche Unternehmen des Einzelhandels der DDR. (Anm. d. Interviewers)

Jungmädelbund. (Anm. d. Interviewers)

Bund der Vertriebenen, Landesverband Berlin (Anm. d. Interviewers)

 

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  • Příbeh pamětníka v rámci projektu Poles, Germans and Ukrainians and their memories on forced migration (Lenka Kopřivová)