Následující text není historickou studií. Jedná se o převyprávění pamětníkových životních osudů na základě jeho vzpomínek zaznamenaných v rozhovoru. Vyprávění zpracovali externí spolupracovníci Paměti národa. V některých případech jsou při zpracování medailonu využity materiály zpřístupněné Archivem bezpečnostních složek (ABS), Státními okresními archivy (SOA), Národním archivem (NA), či jinými institucemi. Užíváme je pouze jako doplněk pamětníkova svědectví. Citované strany svazků jsou uloženy v sekci Dodatečné materiály.

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Anna Michalski (* 1924)

Ich habe sehr viel Nationen kennengelernt. Es gibt überall Leute, solche und solche

  • sie wurde am 27. 3. 1924 in Niesnersberg (Nýznerov) geboren

  • mit sehr vielen Geschwister war das Leben in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen für die Familie sehr schwer

  • als eine Deutsche und ein Kind zugleich wurde sie Mitglied der Hitlerjugend

  • am Ende des Krieges 1945 wurde sie nach der Unterschreibung einer von den Deutschen erdichteten Beschuldigung in Glatz (Klodsko, Polen) zu 15 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt

  • ihre Eltern mussten in Schlesien als Arbeiter bleiben, obwohl sie schon zur Aussiedlung vorbereitet waren

  • sie verbrachte 9 Jahre im Arbeitslager in Norilsk

  • 1955 nach einer Intervention von Konrad Adenauer wurde sie, zusammen mit anderen deutschen Gefangenen freigelassen

  • sie kam nicht nach Schlesien zurück, sondern zog zu Verwandten nach West-Deutschland

  • ihre Eltern sah sie erst viel später, weil sie wegen Arbeitlager-Aufenthalt als „unerwünschte Person“ galt

  • sie hat 2 Söhne und wohnt in Osnabrück

Die Kindheit in Nýznerov

Anni Michalski wurde am 27. März 1924 geboren. Sie lebte mit ihren Eltern in Schlesien, in Niesnersberg, Kreis Freiwaldau (heute Nýznerov in dem ehemaligen Bezirk Jeseník). Als älteste von ihren 8 Geschwistern beobachtete sie mit Beunruhigung, wie die immer wachsende Zahl der Geschwister die ganze Familie in immer größere Not brachte. Nach der Grundschule konnte deshalb dieses kluge und intelligente Mädchen auf keinen Fall damit rechnen, dass sie noch weiter studieren kann. Sie besuchte die Grundschule in Niesnersberg (Nýznerov), wo die Kinder in deutscher Sprache unterrichtet wurden. Niemand wusste damals, dass der Lehrer eigentlich ein Tscheche war. „Das Gebiet war rein deustch“, sagte sie. Die ganze Gegend war fast rein von deutschen Bewohner besiedelt.

Ihre Familie wohnte am Ende des Dorfes, der Vater arbeitete in einem Sägewerk, das sich ganz in der Nähe ihres Hauses befand. „Das war eine Bauergenossenschaft, der letzte Wald gehörte den Bauern“, erklärt sie die Umstände. Obwohl das Leben in Ostschlesien nicht leicht war, war die Kindheit für sie eine schöne Zeit. Wenn sie über Vertreibung spricht, fragt sie: „Warum mussten die Menschen von da weg?“. Für manche, die ihre Heimat verlassen sollten, war das so schwierig, dass sie sich, wie sie selbst in Erzählungen gehört hatte, mit Pferd und Wagen in die Moldau gestürtzt haben. Die Männer waren während des zweiten WeltKrieges alle fort, so mussten die Kinder schon mit 10 Jahren vor allem in den Ferien Feldarbeiten leisten. „Gott sei dank, die Ferien sind vorbei“, sagten die Kinder, als sie am Ende des Sommers wieder nach Hause von den Bauernhöfen, wo sie arbeiteten, kommen konnten.

Als Hitler zur Macht kam, begannen die Familien Kindergeld zu bekommen, was sich als ein wirklicher Triumph Hitlers „sozialer“ Politik zeigte. Die Dankbarkeit der Familien war enorm. Dazu kamen noch die politischen Umstände nach dem Jahr1918. „Wir waren Deutsche und wir wollten deutsch bleiben“, beschreibt sie die allgemeine Stellung der Ortsbewohner zu der Entstehung der Tschechoslowakei. „Wir waren ja deutsch, wir waren natürlich froh und glücklich, dass wir jetzt zu dem Deutschem Reich gehörten, nicht?“, erklärt sie die Selbstverständlichkeit, mit derHitlers Parolen in Ostschlesien aufgenommen wurden. Es war ganz üblich, dass damals fast alle Kinder in der Hitlerjugend waren. So war es auch bei Frau Anni.

Aussiedlung ihrer Familie

Ihre Familie war nach dem Krieg, während der Aussiedlung, schon im Areal der Muna (unterirdische Munitionsfabrik, die Hitler währen des Krieges benutzt hatte) in Niklasdorf, heute Mikulovice, vorbereitet, mit dem letzten Zug solllte sie nach Deutschland abfahren. „Sie hatten schon die Nummer vom Wagon, wohin sie einsteigen sollen“. Weil man aber bald feststellte, dass die Aussiedlung mit sich auch den Mangel an Arbeitern brachte, kam der Befehl, dass der letzte Zug von Muna nicht mehr abfährt und die Leute zurück gehen sollen. Drei Tage stand die Familie auf dem Bahnhof und konnte nicht glauben, dass sie bleiben muss. Sie wollten in die leere Gegend auf keinen Fall zurück. Erst der Polizei ist es gelungen, sie zum Gehorgsam zu zwingen. Sie kamen nie wieder in ihr eigenes Haus zurück. Unter anderem wartete auf sie der 3-jährige Aufenthalt in Jihlava, wo sie auf dem Feld arbeiteten musste, ohne irgendwelche persönliche Dokumente oder menschliche Rechte zu haben. „Sie waren wie Obdachlose“, charakterisiert Frau Anni die Situation, in der sich ihre Familie befand. Sie waren völlig von Befehlen der tschechischen Behörden und auch der einzelnen Tschechen abhängig, ohne irgendetwas zu besitzen. Ihre Lage verbesserte sich amtlich erst ab dem Jahr1953, als sie die tschechische Staatsangehörigkeit erhielten.

Das Kriegsgericht in Glatz (Klodsko)

Die Aussiedlung betraf jedoch nur Annis Familie. Frau Anni selbst hatte einganz anderes Schicksal am Ende des Krieges vor sich. Als im Mai 1945 die russischen Soldaten in ihre Heimat kamen, nahmen sie sie mit und seitdem wusste niemand, was mit ihr passiert ist. Die Soldaten wurden von einem anderen Mädchen darauf aufmerksam gemacht, dass sie in Hitlerjugend ist. Das war der Anlass, warum die rote Armee sie undihre Kusine gefangen hat. Mehr sagt Frau Anni dazu nicht. Dann wurde sie nach Glatz, dem heutigen Klodsko in Polen gebracht, wo das Kriegsgericht stattfand.

„Im Mai sind wir verurteilt worden, in Glatz in Schlesien waren wir im Gefängnis, da war das Kriegsurteil, 15 Jahre Zwangsarbeit weiß ich noch, in Sibirien, in den Weiten von Sibirien. In Oktober waren wir schon in Norilsk, weit weg.“ In Glatz waren mehrere Deutsche, laut Frau Anni insgesamt 60 Personen, verurteilt, die in der NSDAP waren, aber auch andere. Die Hälfte davon war zum Tode verurteilt. „Kameraden, versteht, als Deutsche zu sterben!“, das waren die letzten Worte der zum Tode Verurteilten, so erinnerte sich Frau Michalski mit Lächeln und Bewunderung an die letzte Provokation der deutschen Gefangenen. Zugleich spricht sie über das Staunen der russischen Soldaten über so hohe Strafen für die jungen Mädchen. Die Wache hat sie sogar aufgefordert, mindestens die Decken aus dem Gefängnis mitzunehmen, denn sonst hatten sie lediglich die Bekleidung, die sie im Mai an sich hatten. „Wir mussten unterschreiben, wir haben russische Soldaten umgebracht oder Sabotage gemacht. Aber wir haben die russischen Soldaten zum erstenmal erst dort, in Glatz gesehen“, kommentiert Frau Anni die Unsinnigkeit mancher Urteile. Schon damals entschied sich Frau Anni, Russisch zu lernen, weil es immer nützlich ist, die Sprache zu kennen und der Trotz hilft nicht.

Sibirien

Ihre Sibirien-Strafe wurde vorzeitig beendet, als Konrad Adenauer mit Chrusčov Verhandlungen führte, aufgrund deren viele Gefangene von Russland nach Deutschland zurückkommen könnten. Für Anna Michalski brachte es die Hoffnung, nach 9 Jahren, mit 30 Jahren, ihre Familie wieder sehen zu können. „Ich dachte immer, ich bin ja gesund geblieben und das ist die Hauptsache“. Mit solchen Worten summarisiert sie das ganze Martyrium.

Im Arbeitslager lernte sie Polinen, Ukrainerinen, Russinen und Frauen aus baltischen Staaten, die die Deutschen besetzt hatten kennen. Die Frauen haben mit Deutschen mitgemacht, deshalb wurden sie eingesperrt. Sie pflegten zu ihr zu sagen: „Na gut, dass wir hier sind, dass verstehen wir auch, wir haben ja für Deutschland gearbeitet, wir waren ja in Deustchland, dass verstehen wir ja, aber warum du?“ Manche Frauen haben sich während des Krieges in russische Soldaten verliebt und kamen auch freiwillig mit ihnen nach Deutschland.

Niemand ging aber freiwillig nach Sibirien. Das Leben in den Baracken war hart. Die seelische Belastung war so groß, dass sogar die Periode bei den Frauen oft verschwandt. Die Poren hatte man ganz schwarz von Kohlegewinnung und warmes Wasser gab es nur einmal in 10 Tagen. Die Wäsche, die man bekam, warbenutzt von anderen Frauen, oft gar nicht gereinigt. Das größte Glück aber sah Frau Anni darin, dass sie, zum Unterschied zu den meisten, nicht vergewaltigt wurde. Sie hatte noch eine große Devise – und zwar, Fähigkeit und vor allem Bereitschaft, sich die russische Sprache einzueignen. Bald verstand sie alles und konnte auch russisch kommunizieren. Die Kenntnis der russischen Sprache nutzte sie auch später aus, wenn sie ihre Familie in der Tschechoslowakei besuchte, denn die Enkelkinder lernten in der Schule als Fremdsprache gerade Russisch. „Das Schlimmste warSibirien. Aber auch da kann man leben. Ich habe es ja getestet“, spricht Frau Anni über diese schwierige Lebensetape, lacht laut dabei und beschreibt weiter die Unsinnigkeit mancher Befehle, als sie z.B. auch bei einer Kälte von  -40 Grad und weniger draußen arbeiten mussten, mindestens für immer eine halbe Stunde den Schnee schaufeln. Und sehr gerne wiederholt sie den Witz, den man damals in jedem Lager sagte: „die einen, die waren schon im Lager, die sind jetzt frei, die anderen, die sind jetzt hier, und die anderen, die kommen erst hin“. Er sollte demonstrieren, dass die Arbeitslager fast jede Familie in Russland betrafen, in Russland, das voll von Spitzeln war.

Ihre Familie hatte keine Ahnung davon, wo sie sich befindet, ob sie überhaupt noch lebt oder ob sie sie noch einmal sehen werden.Briefe konnte man zwar schreiben und absenden, sie verließen jedoch das Arbeitslager nie.

Befreiung

Als es zu der Befreiung der deutschen Zivilgefangenen aus Russland kam, fuhr sie mit dem Zug nach Ostdeutschland. Dort hat man ihr geraten, nicht in die Tschechoslowakei hinzugehen, weil sie jetzt zu den streng beobachteten Personen gehören könnte, sondern nach Westdeutschland, wo sie schon Vewandte hatte. So hat sie sich auch entschlossen und fuhr nach Dachau in Bayern, wo sie dann einige Zeit bei ihrer Tante wohnte. Nach ein paar Jahren lernte sie ihren Mann kennen und zog zu ihm nach Osnabrück um. Vorher hatte sie aber noch eine enge Beziehung mit einem Deutschen, der Erfahrungen mit dem Aufenthalt in einem deutschen Konzentrationslager hatte. Da fühlte sie aber, dass ihre Lebenserfahrungen eigentlich aus zwei verschiedenen Positionen stammen und dass das keine Ruhe in die Beziehung bringen würde. Bald gab es zwischen ihnen auch politische Streitigkeiten. Sie war stolz auf ihr Deutschtum, er nicht. Deshalb hat sie bald diese Beziehung beendet.

Natürlich versuchte sie möglichst bald ihre Familie zu kontaktieren und zu besuchen. Sehr lange hat sie keine Einreisegenehmigung in die Tschechoslowakei bekommen. „Da kommen so viele Deutsche, warum kommst du nicht,“ fragte ihre Mutter und konnte nicht begreifen, warum sie noch so viele Jahre nach dem Krieg ihre Tochter nicht in ihrer Heimat willkommen heißen kann. Anni hatte aber keinen Pass, keinen Ausweis, gar nichts, als sie aus Sibirien kam – wie sie sagt: „ich war ja niemand“. Jahrenlang musste sie auf das Visum warten, darauf, dass sie wieder in den tschechischen Staatsverband aufgenommen wird, denn sie wurde aus diesem ausgeschlossen. Und sie musste vorsichtig sein, denn man nahm an, sie könnte etwas gegen die Tschechen oder Russen sagen. In so einem Falle könnte man sie gleich wieder festnehmen. Erst viele Jahre später,als sie schon verheiratet war, konnte sie auf einmal endlich ausfahren. Trotzdem war die erste Ausfahrt nicht ohne Komplikationen. Sie beantragte den Pass, es war in der Osternzeit, sie war endlich in dem Bus, in ihrem Pass hatte sie das Visum, aber nach der Grenzkontrole bekam sie den Pass zurück und der Stempel war gestrichen. So fuhr der Bus ohne sie ab. Zum zweitenmal ist es zum Glück gelungen und seitdem besuchte sie ihre Eltern in Schlesien regelmäßig und oft. Ihre Eltern haben sie auch mehrmals in Deutschland besucht, aber die Situation in Deutschland, der Lebenstil war so anders, dass sie sich immer schon bald auf die Rückreise freuten. Auf keinen Fall wollten sie in Deutschland bleiben, ihre Heimat war in der Tschechoslowakei, obwohl die Zeit nach Kriegsende für sie höchst kompliziert war. Genauso wollte Anni nicht zurück zu ihren Eltern, denn als sie endlich das Visum bekam, hatte sie schon ihre eigene Familie mit Kindern, Arbeit in Deutschland und eine feste Verbindung mit ihrer neuen Heimat in Deutschland.

Ihr Mann stammte auch aus Schlesien, aus Opole (jetzt in Polen). Seine strenge Erziehung zeigte sich aber leider bald als ein wesentliches Negativum bei Erziehung ihrer zwei Söhne. Er arbeitete lange bei der deutschen Bahn. Anni Michalski lebt zur Zeit in Hermann-Bonus-Altersheim in Osnabrück.

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  • Příbeh pamětníka v rámci projektu Vzpomínky pro budoucnost (Petra Mačková)