Katrin Berger

* 1970

  • „Die Zeit rann, wir haben unseren Platz eingenommen, und da wurde der Zug von draussen abgeschlossen. Das fand ich überhaupt bei dieser ganzen Sache noch schlimmer, als wie ich in diese Botschaft hereingegangen bin. Sie haben einfach den Zug zugeriegelt. Das empfand ich für mich als Allerschlimmstes. Da war einfach, das kligt so komisch, ich habe es noch heute in den Ohren, dieses Klicken. Zu. Wir haben uns alle angekuckt, weil wir ja nicht wussten, was passiert jetzt, wir wussten bloss jetzt geht es los, aber dieses Zuschliessen? Die hätten ja auch ebenso den Zug komplett irgendwo...., weiss ich nicht, man wusste ja nicht. Es wurde nur gesagt, wir fahren jetzt durch den Osten durch, aber sie hätten ja den Zug nach Berlin schicken können oder nach Bautzen, wo der Knast war. Da habe ich erstmal aus der Flasche ordentlich Schnaps getrunken und habe mir gedacht: Du kannst ehe nichts mehr an der ganzen Situation ändern.“

  • „Und dann kam der Samstag, das war der 30. September, das war eigentlich ein Tag so wie jeder andere, aber es war irgendwie eine ganz eigenartige Stimmung. Und wie gesagt es sind wahnsinnig viele Menschen da herumgelaufen. Manchmal hat man jemanden getroffen, den man schon mal gesehen hat oder einen Bettnachbarn oder jemanden, mit dem man zusammen an der Bierzeltgarnitur sass und gegessen hatte. Und ich kann mich daran erinnern, in der Botschaft, diese Treppen, da ist ja dieser rote Teppich, ich bin da lang gelaufen – ich musste immer da langlaufen, da ich ja oben unter dem Dach mein Bett hatte. Ich bin also da langgelaufen und habe einen Mann gesehen, der war wesentlich älter als ich und der war gross und kräftig, er hatte einen schwarzen Anzug an, und ein weisses Hemd. Er hatte so ein komisches Ding im Ohr, was ich vorher noch nie gesehen hatte, und hatte so eine Kette dran. Da dachte ich mir: was ist da los? Mein erster Gedanke war wirklich – vielleicht heiratet da jemand? Wenn er so schick angezogen ist, vielleich heiratet da jemand. Ein Tumult und ein Getuschel und nachher hat sich herausgestellt – es kamen zwei solche Typen – es waren die Bodyguards von den Politikern, die da kamen. Ich stand seitlich und da kam auch der Herr Genscher, aber er stand erst alleine und dann kamen die zwei Jungs. Es waren noch andere Politiker da, aber bis ich das geschnallt habe, ich war ja neunzehn, dann haben die anderen gefragt: Hast du gesehen den und den? Wie gesagt die sind da herumgelaufen, es sind auch andere Politiker herumgelaufen. Da dachte ich mir, na ja, wenn sie da sind, da ist es halt so, aber ich hatte überhaupt keine Gedanken, vielleicht passiert jetzt was oder so. Der Tumult ist dann immer schlimmer geworden und das war so eine ganz eigenartige Stimmung wie, ich kann es auch schlecht beschreiben, wie als es gebrodelt hat. Überall hat es getuschelt, ganz komisch. Und dann hiess es, die Leute sollen alle rausgehen, sich draussen neben stellen. Die Botschaft war, das Aussengelände, das war ja voll, brechend voll. Dieser berühmte Balkon war ja beleuchtet, wir haben aber überhaupt nichts gesehen. Dann haben wir halt Stimmen gehört und dann hat einer gesagt: Das ist doch der Hans Dietrich Genscher. Er kam ja mit diesem Rechtsanwalt Vogel, der Berliner Rechstanwalt, der für die Leute die ganzen Verhandlugen gemacht hat, der die Leute praktisch nach Westen gegen die Visen verkauft hat, ist ja bekannt. Es standen auch andere Politiker da, dieser Vogel – es war wirklich ein Vogel – stand da und Herr Genscher stand da. Selbst wo Herr Genscher angefangen hat zu sprechen, die Leute haben geqiekt vor Freude, sie haben geweint. Ich stand ja unter den anderen Leuten, da hast du diese Geräuschkulisse, ich weiss nicht, wieviele Tausende dort waren, du hast es doch gar nicht so voll genommen. Ich habe immer nur fetzenweise gehört, was er erzählt, und dann plötzlich ein Riesenschreien, und dem zufolge habe ich mir dann irgendwann mal gedacht: Ma ja, er wird jetzt gesagt haben das, was jetzt überall in den Medien erzählt wird. Aber so richtig habe ich gar nicht verstanden, was er gesagt hat, es war ja so viele Leute da. Wie sollte ich es hören?“

  • „Dia haben das Tor von der Botschaft nicht aufgemacht, sondern nur so eine kleine Tür, und uns nur so schnurweise eingelasen. Ich weiss nicht mehr, wie viele Leute in der Schnur waren, so 6-8 Leute, ich weiss es nicht mehr hundertprozentig, es ist so lange her. Und dann waren wir drinnen, in diesem Vorraum, kann man nicht sagen, aber da waren so Pflastersteine und da standen wir, und das Tor viel hinter uns zu mit einem Krach. Da stand ich da – ein Kumpel war noch da. Die anderen waren draussen, und die anderen habe ich nie mehr gesehen. Die haben vielleicht Pech gehabt, wie auch immer, ich weiss es nicht. Und da dachte ich mir: Was machst du da? Ich war ja wie gesagt neunzehn, natürlich hatte ich Angst. Aber ich wusste von meinem Vater – diese Botschaft, da kann keiner mehr was, du bist geschützt in der Botschaft. Und dann hatte irgendjemand gefragt: Wollt ihr was trinken, wollt ihr einen Tee? Da war ich erstmal froh, die waren vom Roten Kreuz oder so. Dann hat jemand anderer gefragt, ob wir uns ausweisen können, da sagte ich: Klar. Ich hatte ja alles mit. Da haben sie zu uns gesagt, wir brauchen uns nicht aufzuregen, wir können jetzt mal zu Ruhe kommen, und wir sind jezttzt sicher, nachdem wir unseren Ausweis gezeigt haben.“

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    Praha, 29.09.2024

    (audio)
    délka: 01:42:36
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Seit meinem sechzehnten Lebensjahr wusste ich, dass ich in der DDR nicht leben wollte

1987 – Katrin als Auszubildende
1987 – Katrin als Auszubildende
zdroj: Pamětník

Katrin Berger, geborene Zöller, wurde am 28. Februar 1970 in der ostdeutschen Gemeinde Rosslau geboren. Ihr Vater stammte jedoch aus Westdeutschland, sodass sie eine für ostdeutsche Verhältnisse untypische Erziehung genoss und gleichzeitig verschiedene Schikanen in der Schule erlebte. Die Situation verschlimmerte sich, als sie aus der FDJ (Freie Deutsche Jugend) austrat. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Laborantin in der Milchwirtschaft, arbeitete aber schließlich lieber als Kranführerin. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr wusste sie, dass sie nicht in einem kommunistischen Staat leben wollte. Sie fuhr mit gleichgesinnten Jugendlichen zu Wochenend-Bluesfestivals und nahm 1989 an Demonstrationen gegen das Regime teil. Nach einem erfolglosen Fluchtversuch über Ungarn beschloss sie schließlich, mit einer Gruppe von Freunden zu versuchen, über die Botschaft der BRD in Prag zu fliehen. Ende September 1989 verbrachte sie mehrere Tage in der Botschaft, wo eine besondere Atmosphäre und eine fast familiäre Gemeinschaft herrschte. Nach einer Rede des Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher saß sie am 1. Oktober 1989 im ersten Zug mit ostdeutschen Flüchtlingen, die in den Westen in Sicherheit reisen durften. Dort nahm sie Kontakt zu ihrer Tante auf und fand sofort eine Anstellung in einer Molkerei in Coesfeld. Als ihre Eltern sie zu Weihnachten desselben Jahres besuchten, küsste ihr Vater am Bahnhof den Boden. Trotz der herzlichen Aufnahme durch ihre Kollegen und alle anderen Menschen kehrte Katrin 1992 in die ehemalige DDR zurück, heiratete 2019 und lebte in Dessau.